Interview

Heribert Prantl

Der Journalist erklärt, warum er lieber von Friedens- statt Kriegstüchtigkeit spricht, die AfD verboten gehört und was einen guten Kommentar ausmacht

Gespräch: Barbara Tóth

FALTER:  Nr. 19/2025

Erscheinungsdatum: 14.05.2025

Heribert Prantl beim 70. Wiener Stadtgespräch © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Heribert Prantl, Jahrgang 1953, ist gelernter Richter und Staatsanwalt. Mit Anfang 30 wechselte er zur Süddeutschen Zeitung. Dort leitete zuerst das Ressort Innenpolitik, dann Meinung, von 2011 bis 2019 war er auch Mitglied der Chefredaktion. Heute schreibt der mehrfach Ausgezeichnete für sein Stammblatt die Kolumne „Prantls Blick“, lehrt an Journalistenschulen Meinungsjournalismus (vor allem das Kommentarschreiben) und publiziert Bücher.

Wenn Journalisten Journalisten interviewen, kann es leicht zu fachspezifisch werden. Nicht so, wenn man mit Heribert Prantl spricht. Prantls Spektrum ist so breit, er hat praktisch zu jedem aktuellen Thema etwas Kluges, meistens auch Kontroversielles zu sagen. So kam er auch in seiner Stammredaktion, der Süddeutschen Zeitung, zu seinem Spitznamen „Prantl, der Prediger“. Das Gespräch wurde am Telefon geführt, zwischen Vormittagskaffee und Prantls Auftritt am Deutschen Kirchentag.
FALTER:  Herr Prantl, die AfD wurde vom deutschen Verfassungsschutz als Gesamtorganisation als rechtsextrem eingestuft. Rechnen Sie mit einem Verbot der Partei?

Die AfD existiert jetzt zwölf Jahre. In diesen zwölf Jahren hat sie sich ständig radikalisiert. Sie ist immer weiter über den rechten Rand hinausgegangen. Bei der Gründung war sie eine sehr rechtskonservative Partei, jetzt ist sie sehr rechtsextrem. Wir feiern den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs als Tag der ­Befreiung. Wir müssen uns heute vom ­neuen Nazismus, von der Grundrechtsverachtung, von der Menschenverachtung befreien. Diesem Zweck dient ein Verbotsantrag nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. Ein Verbot beseitigt zwar nicht verfassungsfeindliche Gesinnungen, aber es stoppt deren politische Wirksamkeit. Das Verfassungsgericht wird nicht über Nacht entscheiden, das wird schon an die zwei Jahre dauern. Aber ich bin davon überzeugt, dass der Verbotsantrag Erfolg haben wird. Parallel dazu gehört die AfD natürlich auch politisch bekämpft.

In Österreich ist eine Verbotsdebatte über die FPÖ schwer vorstellbar. Warum?

Unsere bundesdeutsche Verfassungstradition war und ist seit 1949 ein „Nie wieder“. So haben es die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewollt. Sie haben das etabliert, was wir „wehrhafte Demokratie“ nennen. Und zu dieser Wehrhaftigkeit gehört zuvorderst das Verbot von verfassungsfeindlichen, extremistischen Parteien. In der AfD gibt es einen aggressiven Neonazismus, für den exemplarisch der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke steht. Er redet von der lächerlichen Erinnerungskultur, bezeichnet das Holocaust-Denkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“, er rühmt den Hitlerismus. Schon weniger Bräune reicht für ein Verbot. Die AfD ist insgesamt eine völkische Partei, die die Ideale der Nationalsozialisten propagiert, also eine ethnisch und kulturell homogene Nation anstrebt. Wenn man das in ähnlicher Weise von der FPÖ sagen kann, missbraucht auch sie die Demokratie, vergiftet auch sie die Grundrechte. Das kann und darf eine Demokratie nicht akzeptieren. 

Als die FPÖ bei den Nationalratswahlen Erste wurde, sprach die internationale Presse viel selbstverständlicher von der extremen Rechten, in Österreich liest man oft noch rechtspopulistisch. 

Eine rechtsextreme Partei als „rechtspopulistisch“ zu bezeichnen ist eine extreme Verharmlosung. Populismus ist auch das Bestreben, demokratische Politik so gut ins Volkstümliche zu übersetzen, wie es möglich ist, und dabei eine plakative Sprache zu pflegen. Jeder demokratische Politiker sollte auch Populist sein, weil und indem er seine Ideen so darlegen sollte, dass sie eingängig sind und kapiert werden. Nicht der Populismus ist gefährlich. Der Extremismus ist gefährlich. Die Verwendung von neonazistischem Gedankengut, eine Abgrenzungspolitik gegenüber Migranten, wie sie sowohl die AfD als auch die FPÖ betreiben, ist kein Rechtspopulismus; das ist giftiger Extremismus.

Wie sinnvoll ist es, wenn Journalisten konsequent von der „rechtsextremen AfD“ oder „der rechtsextremen FPÖ“ sprechen oder schreiben?

Das ist ist eine zutreffende Beschreibung. Aber mit der rituellen Nennung solcher Attribute und Adjektive habe ich Schwierigkeiten. Das nutzt sich so ab wie der „verbrecherische“ Angriffskrieg. Mit der formelhaften Benennung wird das Verbrechen verfloskelt. Ein Angriffskrieg ist per se ein Verbrechen.

In Ihrem neuen Buch kritisieren Sie die politmediale Debatte über den russischen Angriffskrieg, Sie sind kein Freund von Buzz-Wörtern wie „Zeitenwende“ oder „kriegstüchtig“. Was stört Sie daran?

Ausgangspunkt war tatsächlich der Begriff „Zeitenwende“, den Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz geprägt hat. Er wollte damit sein Entsetzen über ­Putins ­Angriffskrieg zum Ausdruck bringen. Sein Wort ist zum Schlüsselwort für die ­Rückkehr der Politik ins Militärische geworden. Es ist irreführend, weil es eine Zeitenwende nicht gibt. Es gab und gibt nur die ­Gezeiten, die Ebbe und Flut von Gewalt und Terror. Die einzige Zeitenwende, die diesen ­Namen wirklich verdienen würde, wäre der Augenblick, in dem die Zeiten der ­Gewalt ein Ende hätten. Ein uralter ­Menschheitstraum. Mein Buch versucht, sich einer ­solchen Zeitenwende anzunähern und zu beschreiben, wie eine Zähmung der Gewalt, wie eine Entfeindung gelingen könnte.

"Es geht nicht darum, Kriege zu gewinnen, sondern den Frieden"

Heribert Prantl

FALTER:  Dafür schreiben Sie „Friedenstüchtigkeit“, was meinen Sie damit?

Es geht um einen Perspektivenwechsel. Es geht nicht darum, Kriege zu gewinnen, sondern den Frieden. Der fällt nicht vom Himmel, der muss vorbereitet und gestiftet werden. In den 1980er-Jahren hatte jeder zweite Deutsche Sympathien für die Friedensbewegung. „Frieden ist machbar, Herr Nachbar!“ war der Slogan der Zeit. Die alten Parolen zünden nicht mehr, die Friedensbewegung ist sehr klein geworden. Dafür ist die Kriegstüchtigkeitsbewegung in den letzten drei Jahren sehr groß geworden. Aus vielen ehemaligen Tauben sind Falken geworden, allen voran bei den deutschen Grünen. In den Diskussionen erlebe ich viel Rechthaberei. Jeder will seinen Ismus retten – sei das der Bellizismus oder der Pazifismus.

Haben da auch die Medien, die veröffentlichte Meinung, versagt?

Anfangs gab es in den Abendtalkshows eigentlich kaum andere Stimmen als jene der Kriegsertüchtiger. Bei dieser Aufrüstungs- und Kriegsbegeisterung hat’s mich wirklich geschreckt. Es war und ist ungut, den Aufrüstungsgegnern herablassend einen Stechschritt-Pazifismus vorzuwerfen. Es ist gefährlich, wenn Pazifismus-Verachtung regiert. Und es ist fatal, wenn Pazifisten als politikunfähige Schwärmer schlechtgemacht, Bellizisten aber als politikfähige Realisten gepriesen werden.

Und heute?

Wer von den Kriegsverbrechen spricht, die in der Ukraine und in Palästina begangen werden, wer sie zu Recht anprangert, anklagt und verurteilt, der spricht von Verbrechen im Krieg, nicht vom Krieg als Verbrechen. Er unterscheidet zwischen dem gerechten, regelbestimmten, dem angeblich sauberen Krieg einerseits und den Verbrechen, die in diesem Krieg begangen werden, andererseits. So lehrt es das Völkerrecht. Aber es wächst, das hat sich geändert, eine wichtige Erkenntnis: Krieg ist nicht recht, auch wenn er völkerrechtlich geregelt ist. Er ist an sich und in sich, grundsätzlich und in toto ein Verbrechen. Wenn er beginnt, sind die entscheidenden Fehler schon gemacht worden. Wo er herrscht, ist die Gerechtigkeit perdu. Diese Erkenntnis gehört zur Friedenstüchtigkeit. Ich sehe meine Aufgabe als Kommentator und Kolumnist nicht darin, dem Mainstream nachzulaufen. Ich erwarte mir auch nicht, wenn ich gegen den Strom schwimme, dass der Strom deswegen seine Richtung ändert. Aber die Meinungsvielfalt ist wichtig. Genau diese Auseinandersetzung macht den Journalismus für die Demokratie wertvoll.

Naiv! Putins fünfte Kolonne! Falsch abgebogen! Das bekamen Autorinnen wie Alice Schwarzer und Ulrike Guérot zu hören. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Wer seine eigene Position gut begründen kann, muss sich vor der Auseinandersetzung mit echt oder angeblich falsch Abgebogenen nicht fürchten. Die Auseinandersetzung, die wir führen müssen, gehört zur Friedenserziehung: Friedenserziehung ist nicht Konfliktvermeidung – sondern das Erlernen der Fertigkeit, Konflikte zu erkennen, zu benennen, zu verhandeln und zu lösen; und die unlösbaren auszuhalten.

Frieden mit dem Kriegsverbrecher Putin?

Den Frieden gilt es nicht für Putin zu schließen, sondern für die Menschen. Es geht darum, der Gewalt Einhalt zu gebieten. Bei meinen Lesereisen bekomme ich immer am meisten Zuspruch, wenn ich über Europa als Friedensprojekt spreche. Das Europa der EU wurde gebaut auf den Trümmern des alten Hasses, es wurde gebaut aus überwundenen Erbfeindschaften. Die große Leistung der EWG, der EG, der EU war es, die Feinde von gestern zu entfeinden. Heute gilt es, die Feinde von heute zu entfeinden.

Nur dass Europa leider kein Friedensmandat hat, stattdessen scheinen sich Putin und Donald Trump das wie in einem Fürstenduell auszumachen?

Das Friedensmandat wird nicht vom lieben Gott verliehen. Das ist eine Aufgabe der Diplomatie. Und darin ist Europa ja eigentlich erfahren – und es ist stärker, als es sich gibt. Europa muss sich auf die Hinterbeine stellen. Es ist nicht der dienstbare Zwerg, sondern eine Macht, die sich ihrer Mächtigkeit bewusst werden und sie ausspielen muss. Es geht dabei auch darum, wieder Zuversicht zu gewinnen. Ich habe in meiner journalistischen Laufbahn seit 35 Jahren noch nie so wenig Zuversicht erlebt wie heute. Flüchtlingskrise, Pandemie, Krieg am Rande Europas und in Nahost, 100 Tage Trump und der Zusammenbruch der geopolitischen Strukturen: Es ist, als ob die Weltgeschichte einen gigantischen Staubsauger eingeschaltet hätte, der unsere Sicherheiten wegsaugt. Es ist aber nicht die Weltgeschichte, die alle Sicherheiten wegsaugt. Die Geschichte ist kein handelndes Subjekt, sondern das Produkt der Aktionen von Subjekten, die an den Reglern des Staubsaugers sitzen. Europa muss zum handelnden Subjekt werden – und den Staubsauger ausschalten.

Sie sprechen und schreiben gerne bildhaft, deshalb Ihr Rufname „Prantl, der Prediger“. Spott oder Ruhm?

Das eine oder andere Porträt über mich hat das geschrieben. Mich hat das gefreut. Warum? Eine gute Predigt ist eine Kunst. Sie will und kann überzeugen. Einer der größten Prediger deutscher Sprache war Martin Luther; er hat dem Volk aufs Maul geschaut, aber nicht nach dem Mund geredet. Er konnte überzeugen, weil er überzeugt war. Das ist eine gute Devise für Kommentare und Leitartikel. Die Predigt dort darf keine Phrasendrescherei sein, sondern überzeugt mit Argumenten. So lehre ich es an Journalistenschulen, wenn ich dort das Kommentarschreiben unterrichte. Gut gegliedert, überzeugend und packend klar argumentieren – wenn das Predigen genannt wird, ist es mir recht.

Viele Journalisten sind verhinderte Lehrer, man sagt, Sie wären fast Priester geworden.

Das ist übertrieben: Ich bin aus dem bischöflichen Knabenseminar in Regensburg nach zwei Wochen nachts über die Dachrinne geflohen, weil ich es nicht ausgehalten habe dort; da war ich noch nicht mal zwölf. Mein ehemaliger Dorfpfarrer, den ich sehr gerne mochte, meinte trotzdem, ich soll doch ein Missionar werden. Das wollte ich nicht. Aber vielleicht bin ich so etwas wie ein Missionar der Demokratie und des Rechtsstaates geworden.

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