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Simon Schaupp

Der Soziologe Simon Schaupp verknüpft die Klimakrise mit Arbeitspolitik – und sieht diese Beziehung als "Stoffwechsel" 

Porträt: Katharina Kropshofer 

FALTER:  Nr. 36/2024

Erscheinungsdatum: 04.09.2024

67. Wiener Stadtgespräch Simon Schaupp © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Schaupp, Jahrgang 1988, forscht an der Universität Basel zur Transformation der Arbeitswelt, Digitalisierung und zur ökologischen Krise. In seinem neuen Buch "Stoffwechselpolitik" beschreibt er mit historischen Beispielen, wie all diese Dinge zusammenhängen. Er hat sich dafür Karl Marx als Ideengeber ausgesucht: Die Krise des Stoffwechsels, die ganz eng mit der "kapitalistischen Akkumulationsdynamik" zu tun hat, "Nutzbarmachung", also die Idee, dass menschliche Körper zu Arbeitskräften gemacht werden, sind nur ein paar Begriffe aus dessen Repertoire.

Wer bei Stoffwechsel nur an die menschliche Verdauung denkt, hat noch nicht von Simon Schaupp gehört. Stoffwechsel, das versteht der Soziologe auch als Austausch der Gesellschaft mit seiner Natur: Der Mensch ist Teil von ihr, andererseits verleibt er sie sich ein, indem er ihre Ressourcen schonungslos nutzt. Und genau hier kommt die Arbeit ins Spiel – das Spezialgebiet des Wissenschaftlers.

"Arbeit ist der gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur", schreibt Marx. "Arbeitspolitik ist immer auch Umweltpolitik", sagt Schaupp.

Die Natur wird zur Ressource gemacht  

In Schaupps Verständnis häufen Menschen im Kapitalismus nicht nur Geld an, sondern auch landwirtschaftliche Produkte. Kaum ein Wald wird nicht forstwirtschaftlich genutzt, kaum ein Ozean nicht für Fischerei oder Abfallentsorgung verwendet, Pflanzen und Tiere durch Zucht für eine bessere Verwertbarkeit angepasst. 

Der Soziologe gibt ein Beispiel: Es waren die 1860er-Jahre, als in den USA die ersten Fließbänder entstanden – etwa am berühmten Chicagoer Viehmarkt. Die Unterbringung der Schlachttiere kostete, wer nicht schnell genug war, hatte plötzlich mit Verwesung zu kämpfen. Also mussten die Schlacht- und Transportprozesse optimiert werden – auf Kosten spezialisierter Handwerker wie Metzger. Ihre Arbeit wurde disqualifiziert, die Arbeitsgeschwindigkeit steigerte sich. Und die nichtmenschliche Natur wurde stärker nutzbar gemacht: Schließlich verfaulten Tiere auf den effizienten Fließbändern nicht mehr so schnell. 

Die menschliche Arbeit ist dabei der Motor eines schonungslosen Wachstums, mit dem die Natur ausgebeutet wird; als Prozess, bei dem die Natur zu Gütern und Ressourcen wird – und dabei zerstört wird. Schaupp geht es um Arbeit und Klassenkampf, aber auch um Kohle, Öl, Moskitos, Sklavenhandel, verwesende Rinder und Fabriksgebäude.

Und vor allem um ein Unbehagen, das sein Interesse an der Thematik überhaupt erst geweckt hat:

Der Fokus auf Arbeit ist gleichzeitig auch eine Kritik an der Konsumgesellschaft. Denn wer über die ökologische Krise spricht, spricht meist über die Verantwortung des Einzelnen: von Ökotipps bis zu Flugscham.

"Es ist natürlich ein großer Clou für die fossile Industrie, wenn wir nicht mehr über Regulationen sprechen, sondern über die Anpassung des eigenen Konsums" 

Simon Schaupp

Er vergleicht diese Logik mit den Herstellern von Opioiden in den USA: Die Pharma-Familie Sackler hatte in den 1990ern mit dem Verkauf ihrer Schmerzmittel eine riesige Suchtkrise ausgelöst. Zuerst leugneten die Hersteller das, dann begannen sie, es als ein Problem der Konsumenten darzustellen. Und steckten Geld in Suchtprävention. "Sie wussten, das gefährdet ihren Absatz nicht", sagt Schaupp. "So ähnlich hält es die fossile Industrie."

Der Ölriese BP hatte den ökologischen Fußabdruckrechner, ein Werkzeug, um den eigenen Einfluss auf den Planeten zu berechnen, im Jahr 2004 erst popularisiert. Mit großen Folgen: Nachbarn zeigen mitunter mit dem Finger auf jemanden, der ins Flugzeug statt in den Zug steigt; Entscheidungsträger können sich mit leicht umsetzbaren Maßnahmen wie ein paar gepflanzten Bäumen schmücken, ohne die großen Fische in die Pflicht zu nehmen.  Dabei stammt der Großteil der Emissionen nicht aus Privathaushalten, sondern von einigen wenigen: 100 Unternehmen sind für 71 Prozent der Emissionen seit 1988 verantwortlich, so eine Studie des französischen Ökonomen Lucas Chancel.

Hier steckt wohl auch ein Teil der Lösung. Umweltpolitik und Arbeitspolitik zusammenzubringen heißt nicht nur, Konzerne klimaneutral zu machen, sondern den Fokus auch auf wesentliche Dinge zu legen: die Aushandlung von Arbeitsgeschwindigkeit, Arbeitszeit oder Löhnen zum Beispiel.

Und so sind wir wieder bei den Problemen der Arbeiter in den Chicagoer Fleischfabriken: 

Dass das Fleisch so schnell verweste, machten sich diese zum Vorteil. Kurze Streiks reichten, um massiven Schaden zu verursachen. "Sie haben sich die Fließbandtechniken zunutze gemacht, um sich gegen die Austauschbarkeit in diesem Sektor gewerkschaftlich zu wehren", sagt Schaupp. Nur kurze Zeit später, in der Mitte des 20. Jahrhunderts, waren sie die bestbezahlten Arbeiter in den USA.

Auch heute gibt es solche Widerstände. In Österreich setzt sich die Gewerkschaft Holz und Bau gemeinsam mit Fridays for Future für eine bessere Hitzefreiregelung ein. Eine Sonderregelung für die Baubranche erlaubt es Betrieben nun, ihre Arbeitnehmer ab 32,5 Grad freizustellen.  Schaupp und seine Kollegen haben in einer Studie auch direkt mit Betroffenen in der Schweiz gesprochen: "Bauarbeiter hatten eine große ökologische Kritik an der eigenen Branche, hatten viele Ideen, wie man diese Branche nachhaltiger gestalten könnte", sagt Schaupp. "Gleichzeitig konnten sie sich mit den sinnvollen Aspekten des Berufs stark identifizieren – zum Beispiel Krankenhäuser zu bauen." In seiner Befragung machten die Arbeiter auch selbst Vorschläge für eine Ökologisierung, etwa den Einsatz von nachhaltigeren Materialien. "Es ist ein verkörpertes Wissen, die Leute spüren diese ökologischen Folgen am eigenen Leib – wenn sie mit toxischen Materialien statt etwa mit Holz arbeiten, noch viel mehr." 

Wer auf verschiedenste Wahlergebnisse blickt, weiß aber auch: Die Arbeiterschaft ist nicht unbedingt für ökologische Themen empfänglich. "Es ist eine paradoxe Entwicklung: Einerseits gibt es dieses Leiden, andererseits gelten diese Menschen als klassische Umweltfeinde."  Schaupp hat auch dafür eine Erklärung: Klimaschutz und Dekarbonisierung werden oft als Angriff auf konkrete Jobs empfunden. Aber wer sein Buch liest, weiß: Die Veränderung wird sehr oft von jenen vorangetrieben, die auf den ersten Blick wenig Macht haben. Wieso sollte das bei der Klimakrise anders sein?  

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