Porträt: Matthias Dusini
FALTER: Nr. 20/2016
Erscheinungsdatum: 18. Mai 2016
Wenn eine Stimmgabel schwingt, bringt sie eine andere zum Mitschwingen. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa erklärt an diesem Beispiel die Erfahrung von Resonanz, die im Zentrum seines neuen Buches steht. Es geht darin um die Fähigkeit, sich berühren zu lassen, und die Furcht vor einer verstummenden Welt.
Hartmut Rosa, geboren 1965, ist Professor für Soziologie an der Universität Jena. In „Resonanzen“, einem der Sachbücher der Saison, analysiert Rosa eine Gesellschaft, die nicht mehr von mittelalterlichen Plagen wie der Pest heimgesucht wird, sondern von hausgemachten Leiden, der Angst, zu scheitern und den Anschluss zu verlieren.
Im Jahr 2005 lieferte er mit dem Buch „Beschleunigung“ über die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, wie es im Untertitel heißt, eines der Stichwörter der Zeit. Fast Food und Power-Nap sind Phänomene einer immer schneller werdenden Zeit. Die These von einem Leben auf der Überholspur, in dem Sinn und Sinne zu kurz kommen, traf den Nerv einer kulturkritischen Leserschaft auch außerhalb der Hörsäle. Fühlen wir uns nicht alle gehetzt, gestresst, gar ausgebrannt?
Hartmut Rosa
„Soziologie beginnt mit der Wahrnehmung, dass in den sozialen Verhältnissen etwas nicht stimmt, dass die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten“, schreibt Rosa. Gelingen und Misslingen misst er an den Vorstellungen eines guten – im Sinne von geglückten – Lebens. Soziologische Konzepte wie Wohlstand, Bildung und Ressourcenverteilung sind in seinen Augen zu wenig, um dieses gute Leben zu definieren. „Eine gute Staffelei, eine teure Leinwand und leuchtende Farben ergeben noch kein gelungenes Bild“, analysiert Rosa. Er spricht vom Weltverhältnis der Subjekte und einer „gelingenden Lebensführung“, die durch die Veränderung der sozialen Verhältnisse bedroht sei. Was von den Klassikern der Gesellschaftsanalyse Entfremdung und Entzauberung genannt wurde, ist bei Rosa Beschleunigung.
Statt marxistischer Ableitungen gibt es bei ihm leicht nachvollziehbare Beispiele aus dem Alltag, etwa die genervte Anna oder die freudenstrahlende Hannah. Ähnlich wie der Karlsruher Philosoph Byung-Chul Han („Müdigkeitsgesellschaft“) artikuliert Rosa das diffuse Unbehagen von Menschen, denen der Wohlstand nicht reicht, um glücklich zu werden. Rosas Stil hat etwas Erbauliches, es fehlt ihm der melancholische Mollton, mit dem Han seine Klage intoniert. Und während der Meisterdenker Peter Sloterdijk, auch er ein großer Skeptiker der Gegenwart, durch die Steilwände der Metaphysik klettert und Metapher auf Metapher häuft, kommt Rosa mit wenig aus. Fast 800 Seiten widmet er einem einzigen Begriff, der die gesamte Gesellschafts- und Geistesgeschichte in sich absorbieren soll, der Resonanz.
Der Autor findet Resonanzerfahrungen etwa beim Public Viewing von Fußballspielen, das „die Aufmerksamkeit auf den einen Punkt des Balles lenkt, der da beispielsweise von links in den Strafraum schwebt“. Resonanzerzeugung erklärt Rosa auch am Beispiel von Rockmusik, wo es, wie Stones-Gitarrist Keith Richards einmal schrieb, gelänge, „Leute in ihrem Innersten zu berühren“. Bei seinen Popmusikbeispielen zeigt sich der Autor als vorurteilsloser Hörer, dem der Bombastrock von Pink Floyd ebenso nahegeht wie die schroffen Akkorde der Sex Pistols. Der Sound des Buchs erinnert in seiner soften Heiterkeit an die Lagerfeuergitarre eines Liedermachers.
Rosa zitiert sich quer durch die abendländische Bibliothek, um seinen Überbegriff stark zu machen - von Sigmund Freuds Libido bis zu Georg Lukács’ Verdinglichung. Was in der Auswertung sozialwissenschaftlicher Daten zu kurz kommt, wird durch die Lust an spekulativem Denken wieder wettgemacht.