Gespräch: Stefan Apfl
FALTER: Nr. 36/2011
Erscheinungsdatum: 07.09.2011
Menschenrechte sind Grundprinzipien über die Frage, wie Menschen miteinander umgehen, ob im Rahmen einer Familie, eines Staates oder eines Krieges. Dabei gilt die goldene Regel: Was du nicht willst, das dir angetan wird, das tu auch keinem anderen an.
Genau das war das Fatale nach 9/11. In einer streitbaren Demokratie sollten Rechtsstaat und Menschenrechte stark genug sein, um nicht die eigene Werteordnung infrage zu stellen. In den USA war dies aber leider der Fall. Die Anschläge haben gezeigt, wie fragil das amerikanische System ist und wie schnell es sich von seinen eigenen Werten verabschiedet, wenn es im Kern getroffen wird.
Zunächst hat man gesagt, es handle sich um einen Krieg, den „war on terror“. Aber kann ein Land mit einer losen Organisation wie al-Qaida völkerrechtlich überhaupt Krieg führen? Bush jedenfalls verhängte das Kriegsrecht, ignorierte aber, dass auch im Krieg ein absolutes Folterverbot herrscht. Das nächste Argument lautete: Wenn man schon Menschenrechte anwendet, dann gelten sie nur für das Territorium der USA, aber nicht für Guantánamo Bay oder Abu Ghraib. Auch das ist rechtlich falsch, weil Regierungen für extraterritoriale Handlungen verantwortlich sind. Zuletzt hat Bush die Definition von Folter mit fragwürdigen Rechtsgutachten stark eingeengt, indem er sagte, unmenschliche Behandlung würde erst dann zur Folter, wenn sie schwere langfristige physische und psychische Folgen hat.
Ja, und ich bin auch überzeugt, dass die CIA durch Folter zu Informationen gekommen ist, die für sie von großem Nutzen waren. Umso schwerer ist es, den Leuten klarzumachen, dass das Recht auf Leben letztlich sogar weniger wichtig ist als das Recht, nicht gefoltert zu werden. Wenn die Tötung eines Geiselnehmers die letzte Möglichkeit ist, eine andere Person zu retten, ist dies moralisch, rechtlich und philosophisch rechtfertigbar. Folterung hingegen kann niemals gerechtfertigt werden. Die Bush-Regierung hat sogar die Verrechtsstaatlichung von Folter gefordert. Wenn sich ein US-Polizist in einem ticking-bomb scenario befindet, sollte nicht er, sondern ein Gericht entscheiden, ob gefoltert werden darf. Das ist das Horrorszenario. Dann sind wir wieder in der Zeit Karls V., wo ein großer Teil der Strafprozessordnung davon handelte, wie und warum jemand gefoltert werden darf.
Die Amerikaner wurden erstmals auf ihrem eigenen Territorium angegriffen. Gleichzeitig war eine Regierung an der Macht, die generell nicht viel von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gehalten hat. Als ich in den 70er-Jahren in den USA studiert habe, war ich begeistert von der amerikanischen Gewaltenteilung, den checks and balances. Präsident, Kongress und Supreme Court sind strikt voneinander getrennt. Unter der Bush-Regierung war der Kongress aber jahrelang gelähmt und hat sich wie die Justiz an der Nase herumführen lassen.
Europa hat aus den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege und des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass Menschenrechte eine wesentliche Möglichkeit sind, so etwas in Zukunft zu verhindern. Obwohl die USA an der Wiege der Menschenrechte standen, haben sie diese Erfahrung nicht gemacht. Sie sind weiterhin der Meinung, dass Menschenrechte etwas für andere sind. Heute ist Amerika jedoch in Sachen Menschenrechte gegenüber Europa weit zurückgefallen. Von der Nichtanerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs bis hin zur Todesstrafe und der höchsten Häftlingsrate der Welt.
Manfred Nowak
Gefoltert wurde und wird in vielen Staaten der Welt. Der Unterschied ist, dass lateinamerikanische, kommunistische oder afrikanische Staaten das nie zugegeben haben. Die USA haben zum ersten Mal die Normen verändert, um ihre Praxis zu legitimieren. Das hat die Menschenrechte nachhaltig beschädigt. Wo immer ich als UN-Sonderberichterstatter für Folter hingekommen bin, hat man mich sofort gefragt, was ich eigentlich wolle. Folter sei doch nicht mehr absolut verboten, wenn nun sogar die USA offen foltern.
Nein. Aber die Büchse wieder zuzubekommen wird sehr, sehr lange dauern. Auch wenn er weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, was etwa die Aufarbeitung der Bush-Ära oder die Schließung Guantánamos betrifft, so hat Präsident Obama doch eine klare Zäsur gesetzt. Jene Foltermethoden, die unter seinem Vorgänger Praxis waren, gibt es heute nicht mehr.
Ja. Natürlich ist der globale Terrorismus eine Bedrohung, gegen die wir uns schützen müssen. Mitunter müssen Menschenrechte auch eingeschränkt werden. Dass etwa unsere Privatheit zunehmend eingeschränkt wird, ist bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt. Aber ich bin davon überzeugt, dass in Europa wie auch in Österreich die Terrorgefahr auch zum Vorwand genommen wird, um sicherheitspolizeiliche Gesetze auszubauen.
Österreich ist in der glücklichen Lage, dass wir bisher nicht vom globalen Terrorismus direkt bedroht wurden. Aber das Vertrauen in die Gefestigtheit des Rechtsstaates und eine hohe Menschenrechtskultur, so wie die Norweger es jüngst bewiesen haben, dieses Vertrauen in die österreichische Politik habe ich nicht. Würde morgen ein großer Terroranschlag Wien treffen, so fürchte ich, dass unsere Grundrechte sehr schnell und sehr rigoros eingeschränkt werden würden.
Da bin ich sehr skeptisch. Wenn es ein Präsident darauf anlegt, das System in einer Ausnahmesituation auszuhebeln, wird er das wieder schaffen.
Wenn es die Intention war, den USA zu beweisen, wie schnell man das westliche Regierungs- und Gesellschaftssystem ins Wanken bringen kann, dann waren die Attentäter leider erfolgreich.
In den ersten zwei Tagen nach der Verhaftung ist die Gefahr statistisch gesehen am größten, gefoltert zu werden. Das hat mit dem Justizsystem zu tun. Aus Personalmangel oder aus Tradition verlassen sich Richter in manchen Ländern im Strafprozess darauf, dass die Polizei ein Geständnis erwirkt. Statt Sachbeweisen oder anderen Beweisformen sind dort Geständnisse die Basis für eine Verurteilung. Wenn das Justizsystem so funktioniert, dann ist der Druck auf die Polizei extrem groß, ein Geständnis zu erzielen. Gerade in der ersten Zeit fangen Polizisten an, mit allen möglichen Mitteln die Person so weit zu bekommen, dass sie ihre Tat gesteht. Denn der Kampf gegen die Kriminalität ist immer ein wichtiges nationales Interesse.
Folter ist eine Form von systematischer, struktureller Gewalt, die Grundwerte menschlichen Zusammenlebens infrage stellt. Sie führt zu einer totalen Entmenschlichung des Opfers, aber auch des Täters. Insofern ist es für mich verwerflicher zu foltern, als zum Beispiel eine Person zu töten, wenn ich damit einen anderen Menschen retten kann. Man darf aus Notwehr töten, aber nicht aus Notwehr foltern.
Armut ist nicht irgendein Schicksal, Armut ist eine ganz schwere Menschenrechtsverletzung – die schwerste unserer Zeit. Aber man kann doch durch ein Umdenken etwas bewegen. Etwa durch die Millenniums-Entwicklungsziele, die momentan nicht umgesetzt sind, weil alles durch diese sicherheitsorientierte Terrorismusbekämpfung überlappt ist.