Interview

Michael Haneke

Österreichs erfolgreichster Regisseur erklärt, warum er keine netten Filme macht

Gespräch: Klaus Nüchtern

FALTER:  Nr. 37/2010

Erscheinungsdatum: 14.09.2010

13. Wiener Stadtgespräch mit Michael Haneke © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Michael Haneke ist österreichischer Filmregisseur und Drehbuchautor. Seine Spielfilme („Funny Games“, „Die Klavierspielerin“, „Caché“, „Das weiße Band“) wurden vielfach preisgekrönt, unter anderem mit der Goldenen Palme der Filmfestspiele von Cannes, dem Golden Globe Award und dem Europäischen Filmpreis. Hanekes Film „Liebe“ wurde 2013 mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet. Seit 2002 unterrichtet Haneke als Professur für Regie an der Wiener Filmakademie.

Sein Film „Die Klavierspielerin“ (2001), der in Cannes den Großen Preis der Jury gewann, machte Michael Haneke zu einer weltweit anerkannten Größe des europäischen Kinos. Durch seine Filmerfolge in den Jahren danach avancierte er endgültig zum bekanntesten Repräsentanten des österreichischen Kulturschaffens neben Elfriede Jelinek.
FALTER:  Herr Haneke, gibt es einen roten Faden in Ihrem Werk?

Ich gehe wie ein Esel der Karotte nach, und wenn ich eine aufgegessen habe, suche ich mir eine neue. Natürlich gibt’s gewisse Themen und Genres, die ich nicht mache, weil ich es auch gar nicht kann. Schon in der Familie hat es immer geheißen: Mach doch einmal einen netten Film! Ich habe 20 Jahre lang am Theater gearbeitet und bloß eine richtige Komödie gemacht, einen Labiche. Das war der einzige Totalflop, den ich je gelandet habe! Ich kann’s halt nicht und sage auch immer: Man soll von einem Schuhmacher nicht verlangen, dass er Hüte macht.

Aber Sie tragen Hüte – metaphorisch gesprochen?

Ja, ich sehe mir mit Begeisterung Komödien an – wenn sie gut sind. Ich habe bloß keine Fantasie auf diesem Gebiet. Und man macht ja selbst in dem Genre, in dem man sich bewegt, noch genug Fehler.

Nimmt die Routine und die Effektivität im Laufe der Jahre nicht zu?

Nein. Das Abenteuer ist immer gleich. Ich finde nach wie vor, dass mir „Der siebente Kontinent“ gut gelungen ist. Und es gibt danach Filme, die ich jetzt nicht nennen werde, die ich für misslungen halte.

Wie sehr bringen Sie als Professor an der Filmakademie Ihre eigenen ästhetischen Überzeugungen ein?

Die bringe ich schon ein, weil ich es für wichtig halte, den Studenten Rigorosität als etwas Lohnenswertes darzustellen. Wenn jemand billige Lösungen anbietet, reite ich darauf herum und sage: Das kann man nicht machen! Ich sage aber auch: Versuchen Sie nicht, einen Haneke-Film zu machen. Wenn man etwas nachmacht, bedeutet das, dass es schon jemanden gegeben hat, der’s besser gemacht hat. Ein Lehrer muss den Studenten helfen draufzukommen, was sie selber wollen. Dafür brauchen manche ein halbes Leben.

Sie hatten das Problem auch?

Schon, wobei mein Vorteil war, dass ich sehr spät zum Kino gekommen bin und davor zehn Fernsehfilme gemacht habe. Da konnte man viel ausprobieren. Heute möchte ich aber keinen ersten Fernsehfilm machen müssen. Das ist ja höllisch! Wer da alles dreinredet!!

Was unterscheidet Fernseh- und Kinofilm?

Es eignen sich zum Beispiel bestimmte Sujets besser fürs Fernsehen, historische Stoffe etwa – das ist dem Bildungsauftrag des Fernsehens angemessen, im Film ist das meistens eine Bauchwehpartie.

Sie hätten „Das weiße Band“ also auch gut fürs Fernsehen machen können?

Das war ja auch ein Fernsehprojekt und zwar ein Dreiteiler mit rund 270 Minuten. Als ich es umgeschrieben habe, war das Buch schon zehn Jahre alt – übrigens auch das Drehbuch zur „Klavierspielerin“. Das hatte ich ursprünglich für Paulus Manker geschrieben, der es verfilmen wollte, aber die Finanzierung nicht zustande brachte.

Wie geht man damit um, dass Film immer sehr stark von den ökonomischen Möglichkeiten abhängig ist?

Man muss ein Augenmaß für das Machbare haben. Deswegen hat es auch keinen Sinn, wenn man als Anfänger das Drehbuch zu „Ben Hur“ schreibt.

Sind das auch Dinge, die Sie Ihren Studenten vermitteln?

Schon. Das Metier ist heute ja gnadenlos. Man bekommt mit Hängen und Würgen eine Förderung – gnade Gott, es ist ein Flop! Dann ist es schon wahnsinnig schwer, wieder etwas gefördert zu kriegen, und wenn auch das ein Flop wird, gibt es dich nicht mehr. Wenn der neue Jahrgang kommt, mache ich als Erstes ein vierstündiges Seminar, in dem nur ich rede, und zwar ausschließlich darüber, was sie alles an Negativem erwartet.

Sie sind ja so schlimm wie Ihre Figuren!

Wenn man Kinder hat, soll man Ihnen auch Ratschläge geben, die sie vor dem allzu großen Scheitern bewahren. Man kann es eh nicht, weil jeder Mensch seine eigenen Fehler machen muss und nicht aus denen der anderen lernt. Dennoch ist man verpflichtet, es zu sagen.

Sind die Studienbeginner alle naive Idealisten?

Teils, teils. Der überwiegende Teil sind Leute, die sich sagen: Film ist super, mach ma Film. Da ist es dann manchmal schon ein bissl mühsam, wenn man bei der Aufnahmsprüfung merkt, dass für viele die Filmgeschichte mit Tarantino beginnt – die glauben, Rossellini ist eine Pizzeria. Und dann gibt es immer einen oder zwei, die alles wissen. Was wiederum nicht bedeutet, dass das begabte Leute sind. Es gibt auch Hochbegabte, die aus der absoluten G’schertei kommen und gar nichts wissen. Begabung ist ja das Ungerechteste, was es gibt.

Ist es nicht Ihre Aufgabe als Didaktiker, Ihren Schülern zu helfen, ihre Begabung zu entdecken, von der sie selbst vielleicht nichts ahnen?

Ja. Es ist nur wahnsinnig schwer, weil ich mich auch täuschen kann. Und persönlich bin ich eher jemand, der sich auf die Fehler stürzt und sagt: „Das ist aber scheiße, da hinten.“ Das halten manche schwer aus, und man wirft mir auch vor, dass ich zu wenig lobe. À la longue merken die Leute aber schon, dass es mir um die Sache geht und ich niemanden niedermachen möchte.

Wie ist denn der Output der Filmakademie?

Ich sage immer: Wenn pro Jahr ein wirklich guter Absolvent rauskommt, ist das eh schon zu viel für Österreich. Wer soll die denn alle beschäftigen?!

Müsste man strenger ausfiltern?

Wenn’s nach mir ginge, würde ich das tun; aber es geht nicht, weil wir dadurch die Notwendigkeit der Schule infrage stellen würden: Wir können nicht diesen Riesenapparat am Laufen halten und dann nur fünf Leute pro Jahr nehmen. Und es kann ja in der Tat so sein, dass Leuten, die am Anfang sehr patschert sind, plötzlich der Knopf aufgeht – hat es alles schon gegeben. Aber ich habe auch schon manchen gesagt, dass ich sie für völlig unbegabt halte und dass sie gehen sollen. Das sage ich nicht gleich, aber es gibt einfach eine Form von Blödheit, auf die man reagieren muss – da habe ich auch keine Hemmungen.

Wie viele Studenten nehmen Sie denn auf?

In der Regie sind es zwischen zwei und fünf pro Jahr.

Von insgesamt?

85 – für Regie. Das große Manko in Österreich sind aber nicht die Regisseure, sondern die Produzenten. Ein guter Produzent ist Gold wert! Und aufgrund unseres Förderungssystems, in dem Produzentenkapital nicht angehäuft werden kann, ist es wahnsinnig wichtig, Leute zu haben, die wissen, wie man zum Beispiel mit dem Ausland ins Geschäft kommt – dazu muss man sehr vif und alert sein.

Gibt es verschiedene Produzentenkulturen? Ist das also zum Beispiel in Frankreich anders?

Natürlich! Frankreich ist, ich glaube: weltweit, das Paradies für Regisseure. Dort gibt es nicht nur gute Förderungen, sondern auch Großproduzenten, die wirklich Geld haben und damit umgehen können – das ist ja bei uns, die wir alle am Förderungstropf hängen, nicht der Fall. Ich brauche mich nicht zu beklagen, weil ich praktisch alles mit dem Ausland zusammen mache, aber da bin ich privilegiert. Mein Freund Ulrich Seidl, der nicht gerade unglaublich viel Geld braucht und international sehr renommiert ist, hat es da schon viel schwerer.

Wenn Sie auf Ihre eigene Karriere zurückblicken – gab’s da eher Stufen oder den entscheidenden Umbruch?

Beides. Natürlich gab es Stufen, aber „Code inconnu“ war als erste Koproduktion mit Frankreich schon entscheidend: Da hat sich schlagartig und weltweit eine andere Öffentlichkeit aufgetan. Wenn die Binoche wo mitspielt, hat man automatisch andere Verkaufszahlen.

Stört es Sie, wenn sich plötzlich alle Politiker für „unseren“ Michael Haneke begeistern?

Das ist völlig normal, und solange das nicht von der FPÖ kommt, ist es mir auch egal. Wenn ich Gelegenheit habe, mit einem Politiker zu reden, sage ich gebetsmühlenartig meine Sachen …

Mehr Geld?!

In erster Linie ja, aber darüber hinaus laufen im Förderungssystem einige Dinge falsch: Dass der Regisseur per Gesetz sämtliche Rechte an den Produzenten abtritt, ist in ganz Europa einmalig. Die Stimmgewalt der Produzenten, die immer mit pseudowirtschaftlichen Argumenten kommen, ist einfach größer.

"Mich haben immer die Bücher und Filme weitergebracht, die mich verunsichert haben. Der Mainstream macht genau das Gegenteil" 

Michael Haneke

FALTER:  Die New York Times hat anlässlich einer Schau zum österreichischen Film das ganze Land zur „world capital of feel-bad cinema“ ernannt. Dafür sind auch Sie verantwortlich. Wollen Sie, dass ich mich schlecht fühle?

Nein, das will ich nicht. Ich selbst will etwas erleben im Kino und mache Filme über Dinge, die mich selber bewegen. Und wenn ich den Zuseher ernst nehme, so wie ich mich auch selber als Zuschauer ernst genommen wissen will, muss ich ihn mit sich selbst oder einer Sache in einer Art und Weise konfrontieren, die dringlich ist. Im besten Falle wird man davon destabilisiert. Mich haben auch immer die Bücher und Filme weitergebracht, die mich verunsichert haben. Der Mainstream macht genau das Gegenteil.

Ist das so einfach? Es gibt doch auch Filme, aus denen man erhoben und bereichert herauskommt?

Sicher. Da muss ich nur wieder sagen: Ich bin ein Schuh- und kein Hutmacher.

Aus welchem Film kommen denn Sie beglückt raus?

Filme von Bresson oder Tarkowski beglücken mich. Wenn ich mir den „Spiegel“ ansehe, ist das wie eine reinigende Dusche: Der ganze Scheißdreck, den ich meistens sehen muss, wird weggespült. Die „Matthäus-Passion“ ist auch nicht lustig, aber beglückend.

Selbst ein so deprimierender Film wie „Mouchette“ kann einen beglücken.

Jeder Bresson-Film!

Na ja, „Der Teufel möglicherweise“ beglückt mich weniger.

Ja, der ist nicht so gelungen. Einige Szenen sind grandios, aber das Sozialen­gagement ist ihm dabei etwas durchgegangen. Aber „Au hasard Balthazar“ ist ein absolutes Jahrhundertmeisterwerk, und dasselbe gilt für „Lancelot du Lac“ – das sind Filme, die kann ich mir zum 25. Mal ansehen, und es ist immer noch eine Freude.

Aber verunsichert werden Sie dann nicht mehr …

Nein, weil ich dort schon zu Hause bin. Aber beim ersten Mal habe ich mich schon gefragt: Was ist denn das?!

Und haben trotzdem sofort gewusst: Das ist was!

Das ist es ja: Man versteht es zwar nicht, aber was man sofort sehen müsste, ist die Qualität, die dahintersteht.

Eine Art ästhetischer Instinkt?

Ja, den muss man haben. Und den kann man auch haben, wenn man völlig ungebildet ist.

Die Thesen

Punkt 1

Die Entrealisierung der Gewalt

Gewalt ist deshalb so erfolgreich im Medium Film, weil Gewalt Aktion ist und Aktion ist Bewegung. Die Gewalt und die Action steigern sich, weil die Formen, die sich etablieren, immer übertroffen werden müssen. Oder man macht das Gegenteil und gibt der Realität wieder das, was sie ist. Die Theatralisierung der Gewalt ist ja eine Entrealisierung der Gewalt. In meinen ­Filmen sieht man weniger Gewalt als in jedem „Tatort“, aber die Gewalt findet woanders statt.

Punkt 1

Zerstreuung wegen Konsumierbarkeit

Im Deutschen kann man schön unterscheiden zwischen Unterhaltung und Zerstreuung. Unterhaltung ist alles. Das meiste Mediale ist natürlich Zerstreuung. Also Ablenkung vom eigentlichen Kern der jeweiligen Themen, hin zu einer Konsumierbarkeit.

Punkt 3

Die Macht der Manipulation

Man hat eine Verantwortung dem Rezipienten gegenüber. Man manipuliert ihn mit jedem Medium, und man muss sich bewusst werden, welche Macht das ist, und darf diese Macht nicht missbrauchen. Ich vergewaltige den Menschen deshalb zur Selbstständigkeit, damit er über den Film nachdenkt.

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