Interview

Barbara Blaha 

Die SPÖ steht auf der falschen Seite

Gespräch: Barbara Tóth

FALTER:  Nr. 47/2021

Erscheinungsdatum: 27. November 2021

Portrait Barbara Blaha © Heribert Corn
© Heribert Corn
Zur Person

Barbara Blaha, geb. 1983, leitet das Momentum Institut, den Think Tank der Vielen, und ist Herausgeberin des Magazins „moment.at“. Von 2005-2007 war sie ÖH-Bundesvorsitzende. Sie trat damals aus Protest gegen die Nichtabschaffung der Studiengebühren aus der SPÖ aus. 2007 gründete Blaha die Kongressreihe „Momentum“, die Wissenschaft und Politik in einen Dialog bringt. Sie publiziert zu wirtschaftlichen und politischen Fragen in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften und veröffentlicht Bücher, darunter „Das Ende der Krawattenpflicht“. Sie ist Universitätsrätin der Universität Salzburg und lehrt am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Mitten in Wien-Rudolfsheim, in der Märzstraße 42, hat Barbara Blahas „Think Tank der Vielen“, das linke, progressive Momentum Institut, seine Heimat gefunden. Gründerin Blaha, 38, wäre unter SPÖ-Chef Christian Kern fast Chefin des parteieigenen Renner-Instituts geworden, aber Alfred Gusenbauer legte sich quer. Nun liefert Momentum regelmäßig Studien und Impulse zur politischen Debatte.

FALTER Das Momentum Institut schlägt 500 Euro Impfprämie für jeden vor. Muss man in Österreich immer Geld in die Hand nehmen, um Menschen zu etwas Sinnvollem zu bewegen? 

Studien aus den USA zeigen uns, dass beim Preispunkt von ungefähr 500 Dollar die Impfquote um fast 15 Prozent steigt. Noch nicht Geimpfte wohnen eher in einkommensschwächeren Gemeinden. Sie können dieses Geld wirklich gut brauchen, sie wurden durch die Pandemie härter getroffen, da gibt es also einen ­Anreiz. Außerdem bieten wir damit jenen, die sich bis jetzt nicht impfen ließen, ­einen gesichtswahrenden Exit an. Sie können dann sagen: Okay, da ist ein neues Angebot auf dem Tisch, das bewegt mich jetzt dazu. 

Den individuellen Anreiz hätte es auch mit einem persönlichen Klimakonto gegeben. Stattdessen wird es Ökosteuer und einen Klimabonus geben. Ist das sinnvoll?

Ein Klimakonto ist attraktiv und gerechter, weil es ‒ anders als die CO₂-Steuer – nicht darauf abstellt, wie hoch das eigene Einkommen ist. Klimapolitik in Österreich stellt viel zu sehr auf den Einzelnen und viel zu stark auf den Preis ab. Offensichtlich ist es leichter, acht Millionen Österreichern eine CO₂-Steuer zu verrechnen, als die zehn größten Industrieunternehmen in Österreich dazu zu bewegen, weniger klimaschädlich zu produzieren.

"Klimapolitik in Österreich stellt viel zu sehr auf den Einzelnen und viel zu stark auf den Preis ab"

Barbara Blaha

FALTER Was wäre Ihr Gegenvorschlag?

Die Klimapolitik eben nicht dem Markt überlassen. FCKW sind wir auch nicht losgeworden, indem wir dem Konsumenten die Möglichkeit gegeben haben, Haarspray mit oder ohne FCKW zu kaufen und zu entscheiden, ob er die Umwelt weiter zerstören möchte. Sondern wir haben weltweit gesagt, es zerstört das Ozonloch, also verbieten wir es. 

Das ist ein radikaler Ansatz.

Zwei Krisen, mit denen die Welt gerade konfrontiert ist, Ungleichheit und Klima, sind Folgen des fossilen Kapitalismus. Er war der Motor des Fortschritts der letzten 200 Jahre und hat die Menschheit weitergebracht wie nichts zuvor. Aber er entzieht uns auf Dauer unsere Lebensgrundlage und schafft beispiellose soziale Ungleichheit.

Entdeckt die Fridays-for-Future-Bewegung den Klassenkampf?

Diese Bewegung hat tatsächlich eine Entwicklung durchgemacht. Ihre Basis ist eingestiegen mit Klima, Öko und Umwelt, das hat sie politisiert. In der Auseinandersetzung mit dem Thema sind sie draufgekommen, Moment einmal, was ist die Ursache? In Katharina Rogenhofers Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ geht es ganz viel um Verteilung und soziale Fragen. Sie sagt selbst, das wäre vor fünf Jahren noch anders gewesen.

Warum erkennt das der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig nicht, wenn er sich gegen die jungen Demonstranten beim Lobau-Tunnel wendet?

Oberstes Ziel der Sozialdemokratie nicht nur in Wien, sondern in ganz Europa war: sozialer Aufstieg für unsere Klientel. Was heißt das in einer kapitalistisch organisierten Welt? Konsum! Jedem Arbeiter sein Haus, sein Auto, seine Flugreise. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Sozialdemokratie, dass sie eine Umweltbewegung verschläft. 

So wie 1978 in Zwentendorf und 1986 in Hainburg?

Die SPÖ steht in dieser Frage auf der falschen Seite der Geschichte, weil sie annimmt, das Öko-Thema sei nur etwas für die Besser-Esser. Dabei ist Klimapolitik per se Sozialpolitik, weil gerade ihre Leute die Klimakrise als Erstes spüren und unter ihren Folgen am meisten leiden werden.

Aber ist der Lobau-Tunnel für Fridays for Future das richtige Projekt, um ihren Protest zu kristallisieren? Dem Nordosten Wiens fehlt eine Anbindung.

Wären wir gerade mitten in der größten Radrevolution, die die Stadt je erlebt hat, oder würden in der gesamten Stadt Fußgängerzonen ausgerollt und gäbe es dann auch diesen Tunnel, wäre das sicher nicht so aufgeregt.

Die Klima- wie Pandemiepolitik zeigt uns, dass die Politik versagt, wenn sie Entscheidungen treffen muss, die über den kommenden Landtagswahltermin hinausgehen. Was muss passieren?

Langfristiges Denken in der Politik fehlt, eine Entwicklung, die in den späten 1980er-Jahren begonnen hat. Der Politikwissenschaftler Colin Crouch hat das sehr schön herausgearbeitet. Politik wurde zur Inszenierung. Meinungsumfragen und Marketing dominierten über Grundsätze und Prinzipien, es ging nicht mehr um Inhalte, sondern wie gewinne ich ein Politduell. Parallel dazu wurde Expertise ausgelagert ‒ das System Politik hat sich selbst geschwächt.

Aber gerade bei der Pandemie gab und gibt es reichlich Expertise …

… aber es fehlte an politischem Mut. In der Klimakrise kann man sich politischen Mut an unterschiedlichen Ecken und Enden der Welt abschauen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die Paris autofrei machen will ‒ und dafür heftige Kontroversen aushalten muss. Aber sie bleibt einfach konsequent. An ihr könnte sich Ludwig orientieren

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