Gespräch: Nina Brnada
FALTER: Nr. 13/2016
Erscheinungsdatum: 30. März 2016
Grundsätzlich gilt: Es geht um humanitäre Migration. Unsere Hilfsbereitschaft sollte dabei nicht von den Kosten abhängig gemacht werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist eine der wichtigsten Lehren, die wir aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben – in dessen Folge ist diese ja überhaupt erst entstanden. In Deutschland gibt es gar ein Grundrecht auf Asyl, das ist eine moralische und ethische Verpflichtung. Aber natürlich müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Menschen integrieren können, wir müssen uns fragen, wie wir sie unterbringen sollen, was das alles für wirtschaftliche Folgen hat, was es kostet. Das ist natürlich legitim. In der Wissenschaft sollte es auch keine Tabus geben. Im Gegenteil, wir wollen es wissen und wir wollen es genau wissen.
Wir haben Szenarien entwickelt, gestützt auf frühere Erfahrungen mit Zuwanderungen von Flüchtlingen und Integrationsprozessen. Wir sehen uns die Qualifikationsstrukturen dieser Menschen an, wir sehen uns an, wie sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren, wie lange das dauert, bis sie erwerbstätig werden und selbst verdienen. Mithilfe solcher Analysen und einer Reihe von Annahmen können wir dann schätzen, wie viel Steuern und Abgaben sie bezahlen, aber auch, wie viel an Transferleistungen sie beziehen werden und was das per saldo kostet.
Unsere Annahme ist, dass wir zunächst etliche Milliarden für diese Menschen ausgeben werden. Nach sieben bis zehn Jahren wird dann aber ein Punkt erreicht, wo wir mehr einnehmen als ausgeben.
Diesen April werden wir eine große Befragung ins Feld bringen, eine Längsschnitterhebung, wo wir die Menschen über einen längeren Zeitraum wiederholt befragen. Das kostet viel Geld, wir werden in drei Jahren mehrere Millionen Euro ausgeben, mindestens 2000, vielleicht auch 3000 Menschen sollen teilnehmen. Bei diesen Befragungen soll es um Aspekte gehen wie etwa die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, die Gründe ihrer Flucht, ihre beruflichen Qualifikationen, ihre Werte, Einstellungen, Arbeitsmarktintegration, Unterbringung. Wir wollen diese Ergebnisse mit den Sozialversicherungsdaten, die wir hier bei der Bundesagentur für Arbeit haben, verknüpfen. Dadurch wird es uns möglich sein, die Integration dieser Menschen, aber auch die Transferleistungen, die sie beziehen, lückenlos nachzuvollziehen und ganze Biografien rekonstruierbar zu machen. Das passiert natürlich nur mit der Zustimmung der Befragten. Diese Untersuchung wird in das Sozio-ökonomische Panel, die größte Haushaltsbefragung in Deutschland, integriert. Dort werden Menschen seit 1984 befragt, ein Teil ist bis heute dabei. So ähnlich wollen wir es auch bei dieser Studie machen. Das ermöglicht es am Ende, Flüchtlinge, andere Migranten und Einheimische im Lebensverlauf vergleichend zu untersuchen.
Wir sehen in unseren Daten eine starke Polarisierung am oberen und unteren Ende der Bildungsskala. Das bedeutet, dass 25 bis 30 Prozent von jenen, die eine günstige Perspektive haben, in Deutschland zu bleiben, also beispielsweise Syrer oder Iraker, entweder gar nicht oder nur auf der Grundschule waren. Gleichzeitig aber haben wir über 40 Prozent, die entweder eine höhere Schule wie ein Gymnasium oder eine Universität besucht haben. Wir sehen also, dass wir nur wenige mit mittleren Abschlüssen haben, das ist ein Problem, denn den allermeisten fehlt dadurch eine Berufsausbildung. Und das ist ein Hindernis für den Berufseinstieg.
Das war in der Tat eine sehr ähnliche Situation, die Schulbildung der Flüchtlinge vom Balkan war vergleichbar mit jener der Flüchtlinge, die jetzt kommen. So haben heute wie damals rund 70 Prozent der Flüchtlinge bei ihrem Zuzug keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das liegt auch am Alter. Viele von denen, die damals nach Deutschland kamen, konnten ihre Bildungssituation in der Zwischenzeit verbessern, sie machten Ausbildungen in Deutschland und können im Vergleich zu damals heute höhere Abschlüsse vorweisen.
Ja, das sind sie, das ergeben unsere Befragungen. Sie sind dann vor allem für andere Migranten Konkurrenz, der Verdrängungseffekt, der mit den Flüchtlingen kommt, trifft jene, die zwar ebenfalls aus dem Ausland stammen, aber hier arbeiten. Für Deutsche spielt das eigentlich keine Rolle, denn die arbeiten kaum am Bau oder in der Reinigungsbranche. Sie gewinnen insgesamt durch den Zuzug der Flüchtlinge. Und auf den Arbeitsmarkt insgesamt haben die Flüchtlinge eigentlich keine Auswirkungen, die Arbeitslosigkeit von anderen Gruppen wird per saldo nicht steigen.
Jene, die jetzt kommen, haben im ersten Jahr nach ihrer Ankunft eine geringe Beschäftigungsquote, sie liegt bei rund zehn Prozent. Wir rechnen damit, dass diese nach fünf Jahren bei 50 Prozent liegen wird, nach zehn Jahren bei 60 Prozent, nach 15 Jahren bei 70 Prozent. So war es zumindest in der Vergangenheit.
Das ist immer ein Balanceakt, der gilt aber nicht nur für Flüchtlinge, sondern generell. Die Anreize fürs Arbeiten müssen erhalten bleiben, da muss es einen Abstand zum Mindestlohn geben, damit es sich auszahlt, arbeiten zu gehen. Ich denke aber, dass bei derlei Systemen die Mechanismen im Grundsatz austariert sind, sodass die Anreize stimmen. Es gibt so ein Klischee – dass derzeit kinderreiche orientalische Familien zu uns kommen und die Eltern wegen der Beihilfen das Nichtarbeiten aufgrund der Kinder bevorzugen würden. Das spricht aber komplett gegen unsere Datenlage. Die Familien der Flüchtlinge haben sogar weniger Kinder als der deutsche Schnitt, weil viele junge Männer als Alleinreisende kommen.
In Deutschland ist der Familiennachzug bisher ausgesprochen gering.
Die finanzielle Grundsicherung gewährleistet ein soziales und kulturelles Existenzminimum. Das steht jedem zu. Das leitet sich bei uns aus dem Artikel über die Würde des Menschen in der Verfassung ab. Das klingt ein bisschen heroisch, aber in Wahrheit heißt es, dass man die Menschen nicht verhungern lassen darf und dass man ihnen ein Existenzminimum garantieren muss. Es gibt auch ein Urteil des deutschen Verfassungsgerichts, in dem es heißt, es gibt keinen Grund, Flüchtlinge anders zu behandeln als Einheimische.
Herbert Brücker
Tatsächlich gibt es in Deutschland eine niedrige Geburtenrate und es gibt starke Zuwanderung, aber eben nicht nur durch Flüchtlinge, sondern auch aus anderen Ländern der Europäischen Union. Die Bevölkerung in Deutschland wird älter und es gab noch nie ein so großes Arbeitsangebot in Deutschland wie derzeit. Grundsätzlich profitieren wir von der Zuwanderung. Ob wir auch von der Flüchtlingszuwanderung profitieren werden, hängt davon ab, ob und wie schnell die Arbeitsmarktintegration gelingt.
Man sollte als Wissenschaftler Werturteile und Analyse unterscheiden. Natürlich gehen in jede Analyse auch Annahmen ein, die nicht unabhängig von Werturteilen sind. Diese Annahmen gilt es transparent zu machen, damit man sie diskutieren und bezweifeln kann. Das versuchen wir. Da kann jemand, der andere Annahmen trifft und deshalb zu anderen Aussagen kommt, natürlich kommen und dann wird ein bisschen gestritten. Am Ende aber zählt natürlich das bessere Argument. Es geht darum, im Streit um die Annahmen und Schlussfolgerungen zu lernen, seine Analysen zu verbessern.
Nur 20 Prozent jener, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und im Arbeitsprozess waren, haben an der Schwelle des Mindestlohns von 8,5 Euro (Anm. Stand 2016) verdient. Unternehmen sagen: Sprachkenntnisse und Qualifikation entscheiden über Beschäftigung von Flüchtlingen, nicht der Mindestlohn. Flüchtlinge generell vom Mindestlohn auszunehmen, würde starke Anreize schaffen, andere Arbeitnehmer zu entlassen.
Was wir für Integration brauchen, ist, den Menschen, die einen Asylgrund haben, vernünftige Bleibeperspektiven zu geben, dafür braucht es längerfristigen Aufenthaltstitel. Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch das EU-Recht sehen vor, dass man die Menschen abschieben kann, wenn sich die Bedingungen in den Herkunftsländern ändern. Brücker bezeichnet das Abschieben gut integrierter Personen als völlig unvernünftig und als zynische Abschreckungspolitik.
Die Zäsur, die wir in der europäischen Integrationspolitik sehen, erfolgt nicht wegen materieller Probleme der Integration – in Deutschland werden 0,3 % bis 0,5 % der BIP dafür aufgewendet –, vielmehr reagiert die Politik auf Veränderungen in der Bevölkerung.