Interview

Philipp Ther 

Reden wir besser von Rechtsnationalisten!

Gespräch: Barbara Tóth

FALTER:  Nr. 09/2020

Erscheinungsdatum: 26. Februar 2020

Portrait Philipp Ther © Heribert Corn
© Heribert Corn
Zur Person

Philipp Ther (*1967) ist Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien, er leitet dort das Research Center for the History of Transformations (RECET). 2019 erschien „Das andere Ende der Geschichte: Über die Große Transformation“, im selben Jahr wurde ihm der Wittgenstein-Preis des österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) verliehen.

Rechtspopulisten sind kein neues Phänomen. Wer sich mehr auf ihre ideologischen Wurzeln als auf ihre Methoden konzentriert, kann sie politisch besser bekämpfen. Der Historiker Philipp Ther erklärt, warum. Philipp Ther ist ein Ausnahmehistoriker: Er spricht und schreibt auch gerne über brisante politische Themen, zuletzt in seinem lesenswerten Essayband „Das andere Ende der Geschichte“.

FALTER Herr Professor Ther, Sie hoffen, dass die Ökologiebewegung ein neues Zeitalter einläutet, nach dem des Rechtspopulismus. Jetzt haben wir aber in Österreich einen Rechtspopulisten, Sebastian Kurz, der mit den Grünen koaliert. Kann es sein, dass Rechtspopulisten ergrünen?

Die politische Konstellation in Österreich ist sehr interessant und bisher in Europa einmalig. Die türkise ÖVP ist eine Partei, die sich in vieler Hinsicht neu aufgestellt und einige Inhalte übernommen hat, insbesondere in der Migrationspolitik, die man als rechtspopulistisch kategorisieren kann. Die Grünen hingegen haben sich auf ihre traditionellen Werte besonnen und sind damit in den Nationalrat wieder eingezogen. Im Moment ist es so, dass die ÖVP nicht nur im Wahlergebnis, sondern auch in der medialen Kommunikation eindeutig das Oberwasser hat. Aber wie sich das inhaltlich ausgestalten wird, wer was umsetzen kann und letztlich von dieser Koalition profitiert, das wird sich erst weisen. Grundsätzlich ist es erst mal positiv, dass die alte Dreierkonstellation mit Schwarz, Rot, Blau aufgebrochen ist. Mit dem Begriff des Rechtspopulismus habe ich jedoch ein gewisses Problem – genauso wie manche Politologen. 

Warum? 

Ich habe noch an keiner Universität einen Kollegen getroffen, der sich mit dem Rechtspopulismus identifiziert. Es ist also eine Fremdzuschreibung, ein Abgrenzungsdiskurs, der den damit bezeichneten Parteien und Politikern oft sogar hilft, denn die sagen dann: Ja, wir sind Populisten, wir hören auf das Volk, wobei sie dieses Volk ethno-nationalistisch definieren.

Und wie soll man dann Strache, Orbán oder Trump sonst bezeichnen?

ch finde deshalb den Begriff Rechtsnationalisten besser, weil er darauf verweist, auf was sie zurückgreifen: auf ein ziemlich traditionelles nationalistisches Repertoire. Im Übrigen ist dieses Repertoire stark ideologisch fundiert, das hat die politologische Forschung teilweise unterschätzt. Wenn man die ganzen Regalmeter an Büchern betrachtet, die jetzt damit gefüllt wurden, könnte der Eindruck entstehen, dass es ein neues Phänomen ist. Das ist nicht der Fall. 

Welche historischen Wurzeln sind Ihnen wichtig? 

Rechtsnationalistische Bewegungen sind immer dann entstanden, wenn das traditionelle Parteienspektrum erodierte und ein politisches Vakuum vorhanden war. Wenn man die jüngere Zeitgeschichte betrachtet, wäre Italien der Ausgangspunkt. Das alte Parteiensystem ist dort Anfang der 1990er-Jahre im Zuge eines riesigen Bestechungsskandals zusammengebrochen. Und auf den Trümmern dieser alten Parteienlandschaft hat Berlusconi damals mit Forza Italia eine neue Bewegung aufgebaut. Man könnte sie auch frei übersetzen mit „Italien zuerst“. Die Abgrenzung von außen, indem man sagt, das ist rechtspopulistisch, hat übrigens schon damals in Italien nicht funktioniert, ähnlich wie in Österreich Mitte der 1990er-Jahre. Pat Buchanan hat es als Präsidentschaftskandidat der rechtsnationalen Republikaner damals auf den zweiten Platz geschafft, insofern ist auch Trump kein wirklich neues Phänomen. Wenn man jetzt noch weiter in die Geschichte zurückblickt, waren im alten Österreich die Christlichsozialen rechtspopulistisch und rechtsnationalistisch, genauso wie in der Zwischenkriegszeit in den Nachfolgestaaten verschiedene Nachfolgeparteien.

Was ist der ideologische Kern der Rechtsnationalisten?

Rechtsnationalisten geben ein Bündel an Schutz- und Sicherheitsversprechen ab. Diese Versprechen unterscheiden sich von Land zu Land, man kann sie aber relativ klar identifizieren. Der erste Punkt ist fast immer Schutz vor internationaler ökonomischer Konkurrenz. Und daher die Wendung gegen den Freihandel. Der Brexit ist dafür typisch, auch die Weigerung von Boris Johnson, in der Zollunion zu bleiben. Wir finden das bei Trump wie Buchanan, der gegen die Nafta polemisierte. In Ungarn gibt es eine Abweichung: Ein kleines, exportabhängiges Land kann sich die Wendung gegen den Freihandel nicht leisten, dafür betreibt Orbán einen sehr starken Wirtschaftsnationalismus, mit dem versucht wird, Unternehmensgewinne zu nationalisieren. Der zweite Punkt ist der Schutz des heimischen Arbeitsmarkts. Daher die Wendung gegen Migranten, einerseits gegen Arbeitsmigranten, aber noch stärker gegen Flüchtlinge. Weil diese Menschen arm, verfolgt und schutzbedürftig sind, will man sie genau nicht haben. Ihnen wird unterstellt, dass sie „Kostgänger“ sind und dem Staat zur Last fallen und eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sind. Als dritten Punkt findet man den Schutz der sogenannten nationalen Werte.

Ungarn ist nicht am Kippen. Ungarn ist gekippt 

Philipp Ther

FALTER Die oft unter dem Schlagwort des „christlich-jüdischen Erbes“ zusammengefasst werden?

Ja, das christlich-jüdische Erbe, das ausgerechnet von jenen Politikern gefordert wird, bei denen, wenn man das einmal familiensoziologisch betrachtet, die Großelterngeneration oft in verschiedene Varianten des Faschismus involviert war. Das trifft auf den Front National zu, den viel mit Vichy-Frankreich verbindet, ebenso auf die Lega in Italien oder hier bei uns die FPÖ. Ich will damit nicht andeuten, dass die heutigen Funktionäre Neofaschisten wären, aber diese Traditionsstränge in den Familien sollte man nicht unterschätzen. Und dann kommt noch ein vierter wesentlicher Punkt: der Schutz der „family values“, wie es im Englischen so schön heißt. Der Schutz eines Familienbildes mit klar festgelegten Rollenbildern für Mann und Frau, bei denen es nichts dazwischen geben darf. Wenn wir diese vier Punkte als Fundament und ideologischen Unterbau begreifen, lassen sich Rechtsnationalisten auch politisch besser einfangen. 

Sebastian Kurz – ein Rechtsnationalist?

Kurz ist sehr wandlungsfähig. Seine Laufbahn vom Integrations- zum Außenminister, dann zu dem, der die große Koalition verlassen hat – später muss man zwischen Kurz I und Kurz II unterscheiden. Aber betrachten wir es einmal abstrakter: Das eigentliche Problem, das uns hier in Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern begegnet, ist die Frage: Wie verhält sich der konservative Mainstream zu ihnen? Rechtsnationalistische Bewegungen und Parteien sind in allen Ländern, auch in jenen, in denen sie stark sind, klar in der Minderheit. Selbst bei allen Erfolgen, die sie hatten, ist festzustellen, dass zwei Drittel oder noch mehr für andere Parteien gestimmt haben. Von daher ist das Entscheidende, wie sich die Konservativen dazu stellen, ob sie einen Teil dieser Programmatik übernehmen, vielleicht für sich vereinnahmen – wie es die FPÖ Kurz vorgeworfen hat. In Großbritannien hat Boris Johnson die Seiten gewechselt. 

Wo bleiben die klassischen Arbeiterparteien dabei?

Die gemäßigte Linke hat ein großes Problem, ihr traditionelles Wählermilieu zu mobilisieren. Ob in Österreich, Italien, zum Teil in Frankreich oder England, überall ist es den Rechtspopulisten in den letzten Jahren wesentlich besser gelungen, die Arbeiter und den unteren Mittelstand anzusprechen. Das hat nicht nur mit Programmatik zu tun, sondern auch mit der Art ihrer Sprache und der Rekrutierung des eigenen Personals. Dass sich die Grünen ihren Nachwuchs aus dem studentischen Milieu rekrutieren, ist naheliegend. Für die Sozialdemokratie war das nicht sehr nutzbringend.

Gibt es das sozialdemokratische Milieu überhaupt noch? 

Die traditionelle Arbeiterschaft geht in ihrer Größe zurück, aber man sollte sie nicht vernachlässigen. Zweitens gibt es eine neue Unterklasse, das Dienstleistungsproletariat, das sich mit prekären, schlecht bezahlten Jobs durchs Leben schlägt. Dazu kommt, was ich fiskalischen Rollentausch nenne. Sozialdemokraten haben, teilweise in übereifriger Anpassung, vor allem in den 1990er-Jahren versucht, eine besonders solide Finanzpolitik zu betreiben. Das ist ein Trend, den es beispielsweise in den USA unter Bill Clinton gab, später in Deutschland unter Gerhard Schröder. In Italien haben Mitte-links-Regierungen dreimal die finanzpolitische Suppe von Berlusconi ausgelöffelt und versucht, den Staatshaushalt in Ausgleich zu bringen. Fiskalisch waren die Sozialdemokraten häufig konservativ – mitunter sogar konservativer als die Konservativen selbst. 

Ist das ein Irrweg?

Das Geld, das ein Staat ausgibt, muss ja irgendwo herkommen. Man muss es erwirtschaften. Und die gemäßigte Linke hat das nachhaltige Wirtschaften miterfunden, etwa bei den Gewerkschaften mit den Mitgliedsbeiträgen und den Genossenschaften. Insofern kann man auch sagen, das ist etwas Ursozialdemokratisches. Nur ging das in der Phase des späten Keynesianismus verloren. Da haben Politiker wie Bruno Kreisky, Helmut Schmidt in Deutschland oder Jimmy Carter in den USA versucht, der damaligen Systemkrise mit einer staatlichen Ausgabenpolitik gegenzusteuern. Erstens hat das nicht so funktioniert, zweitens konnten die Konservativen dadurch den Sozialdemokraten das Fähnchen des unsoliden Wirtschaftens umhängen. Seit den Nullerjahren haben die neokonservativen Parteien, allen voran in den USA, den Spieß umgedreht. Sie haben das Geld geradezu zum Fenster hinausgeworfen. Meistens natürlich mit Steuererleichterungen für die Reichen. Das war als Konjunkturprogramm gedacht, die eigentlich ideologische Komponente dabei war, den Staat budgetär so zu schwächen, dass er in Zukunft gar keine Alternative hat, als zu sparen. Die Rechtsnationalisten in Polen sind übrigens auch gerade unglaublich ausgabefreudig. In puncto Sozialstaatlichkeit machen sie eine Politik, die man als links bezeichnen kann. Das ist auch der Kern ihres Erfolgs. 

Sie haben Polen angesprochen. Wenn man sich Europa anschaut, hat man den Eindruck, da gibt es einige Länder, die kippen. Ungarn ...

Ungarn ist nicht am Kippen. Ungarn ist gekippt. Denn es gibt keine funktionierende Gewaltenteilung mehr; das Parlament hat faktisch einen Teil seiner Budgetrechte eingebüßt, es gibt keine Medien- und Wissenschaftsfreiheit mehr, was mit dem Hinauswurf der Central European University für alle offenbar war. Dass die EVP, das Bündnis der Europäischen Volksparteien, Fidesz nicht ausgeschlossen hat, war ein Fehler. In Polen ist die Situation in vieler Hinsicht anders. Das Land ist viel größer und nicht so leicht zu kontrollieren. Da gibt es auf regionaler und lokaler Ebene starke Gegenkräfte. Auch in der Regierung gibt es mehrere Machtpole. Bei der jüngsten Justizreform wurde jetzt eine weitere rote Linie überschritten. Aber auch da gibt es erheblichen Widerstand.

Österreich stellt sich gern als Brückenbauer und als Drehscheibe zwischen Ost und West dar. Zu Recht? 

Die Idee der Drehscheibe kommt aus dem Kalten Krieg. Die hat sich meines Erachtens mit dem Zerfall der Sowjetunion erledigt. Bei dem Bild des Brückenbauers ist zu fragen: Wo stehen die Brückenpfeiler? Nimmt man diese Metaphern ernst, dann kann ein kleines Land wie Österreich auch plötzlich unter der Brücke stehen und weggespült werden. Tschechische Politiker, aber erst recht polnische, nehmen diese Metapher ohnehin nur bedingt ernst. Aus deren Sicht wirkt das schnell wie eine Anmaßung der alte imperialen Vormacht. Bleiben wir vielleicht besser beim Begriff des Vermittlers.

Kann das nicht alles heißen?

Nein, ein Vermittler ist eine bescheidenere Rolle, die eher dem entspricht, was österreichische Politik und auch Außenpolitik vielleicht leisten kann. Dafür gibt es tatsächlich einen Bedarf. Aber manchmal muss man sich überlegen, auf welcher Seite man steht, und Position beziehen.

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