Interview

Daniel Kehlmann 

Es gibt auch ein Tätertrauma

Gespräch: Matthias Dusini, Florian Klenk

FALTER:  Nr. 49/2023

Erscheinungsdatum: 5. Dezember 2023

Portrait Daniel Kehlmann © Heike Steinweg
© Heike Steinweg
Zur Person

Daniel Kehlmann wurde 1975 in München geboren und wuchs in Wien auf. Er ist einer der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart. Mit seinem Bestseller „Die Vermessung der Welt“ erlangte er internationale Bekanntheit. 2017 erschien „Tyll“, eine fiktive Lebensgeschichte Till Eulenspiegels. Sein neuester Roman „Lichtspiel“ über den österreichischen Filmregisseur G.W. Pabst erschien heuer im Oktober. Kehlmann lebte einige Jahre in New York, mittlerweile ist er nach Berlin übersiedelt.

Der in Berlin lebende Schriftsteller Daniel Kehlmann gehört zu den wichtigen Stimmen der Gegenwart. Seinen internationalen Durchbruch hatte er 2005 mit „Die Vermessung der Welt“, einem historischen Roman über zwei Naturforscher, der sich allein in Deutschland zwei Millionen Mal verkaufte. Zuletzt erschien bei Rowohlt sein Roman „Lichtspiel“ über den Filmregisseur G.W. Pabst, der sich mit dem NS-Regime arrangierte. Immer wieder nimmt Kehlmann zu politischen Themen Stellung. In der Corona-Pandemie kritisierte er die in seinen Augen teilweise zu strengen Ausgehbeschränkungen. Mehrmals im Jahr kommt Kehlmann nach Wien, wo seine Mutter lebt. Demnächst wird er in der Gesprächsreihe der Arbeiterkammer zu Gast sein. In der aktuellen Debatte über die Hamas-Massaker und den Gegenschlag des israelischen Militärs in Gaza verhielt sich Kehlmann erstaunlich ruhig. Wir wollten wissen, warum. 

FALTER Herr Kehlmann, haben Sie nach dem 7. Oktober, dem Tag des Terroranschlags der Hamas auf Israel, einen offenen Brief unterschrieben?

Nein. Ich hatte ein paar Anfragen, und es waren auch Briefe darunter, die ich inhaltlich nicht falsch fand. Aber ich musste immer wieder an den schönen Satz von Karl Kraus denken: Wer jetzt etwas zu sagen hat, der trete vor und schweige. 

Warum?

Wir erlebten einen Moment, in dem zwei Dinge zusammentrafen. Einmal ein terroristischer Angriff, der absolut abscheulich und kaum zu ertragen war, und dann als Folge davon eine extrem überhitzte Diskussion. Da sollte man vielleicht doch eher versuchen, selbst innerlich zur Ruhe zu kommen und nicht vorschnell Thesen zu produzieren. 

Die Corona-Krise war ähnlich, und hier geizten Sie nicht mit Stellungnahmen.

Da gibt es viele Unterschiede, nicht zuletzt einen zeitlichen. Zum ersten Mal habe ich mich knapp drei Monate nach Beginn der Pandemie geäußert, weil ich das Gefühl hatte, dass es sonst kaum jemand tat. Es gab ja interessanterweise am Anfang eben überhaupt keine Diskussion, nur geschlossene Einigkeit aller Regierungen – mit Ausnahme derjenigen Schwedens –, dass man zunächst einmal praktisch alles schließen und verbieten müsse. Sogar Donald Trump oder die FPÖ sprachen sich für Ausgangssperren und eine Schließung der Grenzen aus. Erst allmählich haben ein paar Leute, darunter ich, versucht zu argumentieren, dass man die demokratischen Verfassungen und die Grundrechte nicht einfach so vom Tisch fegen kann.

Für einige war gerade das Schweigen nach dem 7. Oktober beklemmend. Es passiert ein schreckliches Verbrechen, und danach gibt es kein „Je suis Charlie“ wie nach dem Anschlag auf die Pariser Zeitschrift Charlie Hebdo 2015.

Diese Kritik habe ich nicht ganz verstanden. Das Verlangen, dass jetzt jeder eine Solidaritätsadresse und eine Abgrenzung vom Terror öffentlich äußern soll, hat auch schon wieder etwas Überhitztes. Die Redaktion der Tageszeitung "Die Welt "hat tatsächlich bekannte Schauspieler angerufen und gefragt, warum sie sich nicht von der Hamas distanzieren. 

Die Zeitung hat argumentiert, dass Künstler das Wort erheben, wenn es um Flüchtlinge und Rassismus geht. Aber wenn es gegen die Juden geht, dann schweigen sie.

Ich finde, es muss ein Grundvertrauen geben in einer zivilisierten Gesellschaft, dass andere Menschen keinen sadistischen Massenmord befürworten.

Versuchen konservative Medien den 7. Oktober zu missbrauchen, um linken Künstlern eines auszuwischen?

Das ganz bestimmt auch. Aber ich glaube, es hat stark damit etwas zu tun, was ich als Trauma der Täter bezeichnen würde.

"Krisen erinnern einen an
Identitäten, bei sich selbst und anderen, ob man will oder nicht"

Daniel Kehlmann

FALTER Das müssen Sie uns erklären.

Ich bin Nachkomme einer Familie, die zu einem großen Teil im Holocaust vernichtet wurde. Die Hamas hat am 7. Oktober, ob bewusst oder unbewusst, genau das nachgespielt, was die SS und die Wehrmacht in Polen und in der Ukraine angerichtet haben. Das ist ein kollektives Trauma, von dem ich selbst zuinnerst betroffen bin. Ich spüre, dass mich das stärker und persönlicher berührt als andere Großverbrechen, von denen ich in der Zeitung lese. 

Sie sprachen aber vom Trauma der Täter.

Weil es da durchaus eine Spiegelung gibt. Es gibt in Deutschland und in Österreich eben auch ein kollektives Trauma der Nachkommen der Täter. Verbrechen zu verüben traumatisiert nämlich ebenfalls. Und wir wissen heute, dass eine solche Erschütterung etwas ist, das sich auf die nächsten Generationen überträgt. Und auch dieses verdrängte Trauma flammt jetzt wieder auf. So manche Nachkommen der Täter haben offenbar das Gefühl, wenn sie jetzt ganz besonders schrill und anklagend reagieren, können sie in gewisser Weise die Schuld ihrer Vorväter ungeschehen machen. Das sind oft die Leute, die sofort Antisemitismus schreien, wenn jemand nur daran erinnert, dass auch Israel sich in seiner militärischen Antwort ans internationale Recht halten muss.

Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe von muslimischen Einwanderern, die Verständnis zeigen für die Verbrechen der Hamas. Sie sehen das als Teil des Kampfes gegen Kolonialismus und westliche Heuchelei. Haben die auch irgendwie recht?

Niemand, der sagt, dass man das verstehen oder billigen könnte, hat recht. Es ist ein unerträglicher Massenmord. Unabhängig davon wissen wir alle, dass wir es in Israel mit der extremistischsten Regierung zu tun haben, die das Land je hatte. Netanjahu wäre buchstäblich im Gefängnis, wenn er nicht mithilfe einer rechtsextremen Partei die Macht an sich gerissen hätte. Mein Freund, der israelische Schriftsteller Etgar Keret, hat schon vor Jahren Netanjahu als „unseren Donald Trump“ bezeichnet. Und es ist natürlich so, dass die furchtbare Lebenssituation der Palästinenser im Gazastreifen und in der Westbank vielen muslimischen Einwanderern aus familiären Gründen präsenter ist als Menschen, die überhaupt keine Verbindungen zu diesem Kulturkreis haben. Man kann Leuten, die gegen die israelische Regierung protestieren, nicht pauschal Antisemitismus vorwerfen. Andererseits lässt sich auch nicht bestreiten, dass in der muslimischen Welt Antisemitismus enorm verbreitet ist. Die Gemengelage ist komplex, die Details sind sehr wichtig, und man kommt nicht darum herum, sich mit der Geschichte zu beschäftigen.

Intellektuelle zeigen Verständnis für Putins Angriff auf die Ukraine. Einige bezeichnen die Hamas als Befreiungsbewegung. Woher kommt diese moralische Verwirrung?

Im Fall der Ukraine habe ich eine klare Position, nämlich dass man dem Land militärisch helfen muss. Die in mehreren offenen Briefen geäußerte Gegenposition würde ich aber nicht in allen Fällen als moralische Verwirrung bezeichnen. Es gibt Leute, die entweder aus einer pazifistischen Überlegung oder aus weltpolitischen Erwägungen heraus sagen, wir sollten hier nicht eine Kriegspartei mit Waffen ausstatten. Ich glaube, sie haben unrecht, aber ich will ihnen nicht einfach pauschal die intellektuelle Ernsthaftigkeit absprechen.

Ein Motiv zieht sich durch: die Ablehnung der USA als imperialistischer Macht. Russland mit Palästina und dem Globalen Süden gegen den bösen Westen.

Das ist weit verbreitet, aber es lässt sich nicht immer auf diese Formel bringen. Slavoj Žižek, ein erklärt linker Theoretiker, hat etwa zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse eine Rede gehalten, in der er auf die unerträgliche Lebenssituation der Palästinenser verwiesen hat – nicht anders, als es US-Präsident Joe Biden tut. Sicher gab es in der Ukraine-Debatte Putin-Verehrer. Aber es gab auch Menschen, die fanden, es sei zu einfach zu denken, dass wir Russland besiegen können. Und die wurden leider durch die letzten Entwicklungen sogar ein wenig bestätigt. Es sieht nicht so aus, als ob das russische Militär in Kürze zusammenbrechen würde.

Dennoch lässt sich ein weitverbreitetes Ressentiment gegen alles, was mit dem Westen verknüpft ist, nicht bestreiten. 

Ja, das gibt es. Und es verbindet sich mit einem grundsätzlich berechtigten antikolonialen Denken. Amerikanische Studenten erklären den Krieg in Israel dann oft einfach zum Kolonialkonflikt, was natürlich völliger Unsinn ist. 

In Österreich und Deutschland gelten Juden als exemplarische Opfer. Ist das in Amerika nicht so?

Im identitätspolitischen Schulddiskurs des angelsächsischen Raums kamen die Juden vor dem 7. Oktober überhaupt nicht mehr vor. Das war beinahe grotesk. Es gibt ein sehr witziges Buch des britischen Comedian David Baddiel mit dem Titel „What about the Jews?“. Ich habe das selber erlebt in New York. Ich saß neben einem ziemlich bekannten jüngeren Schriftsteller bei einem Essen in der Public Library, und er hat mich gefragt, ob ich einen Minderheitenbackground hätte. Ich habe scherzhaft gesagt, na ja, jüdisch, falls das zählt. Und er sagte vollkommen ernst und sogar scharf: Nein, das zählt nicht! So kann man vielleicht auch die Schauspielerin Whoopi Goldberg verstehen, die im Fernsehen sagt, der Holocaust hätte nichts mit Rassismus zu tun. Weil das ja alles Weiße gewesen seien. 

Können Sie nachvollziehen, wenn Künstler jetzt nach Israel fahren, um ihrem Volk nahe zu sein?

Das ist ein Impuls, der mir nicht vollkommen fremd ist. Und das, obwohl ich selber kein Jude bin. Aber meine Familienangehörigen hätten überlebt, wenn es damals schon einen jüdischen Staat gegeben hätte. Ich habe mich aber auch die letzten Jahre sehr intensiv mit Franz Kafka beschäftigt, einem assimilierten Prager Juden, der in sein Tagebuch schrieb: „Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam.“

Wird der Wunsch nach Identität in Krisenzeiten stärker?

Krisen erinnern einen an Identitäten, bei sich selbst und anderen, ob man will oder nicht. Plötzlich sagen Leute zu mir, dass sie anlässlich dieses Massakers sofort auch an mich gedacht hätten, und fragen mich, wie es mir jetzt gehe. Das sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, etwa mein Klempner in Berlin oder ein befreundeter Germanistikdozent. Plötzlich bin ich im Kopf von vielen Leuten mit meiner jüdischen Familiengeschichte präsent. 

So wie Ihr Kollege Maxim Biller, der schreibt: Wann kommt von Kehlmann endlich ein Roman über seine jüdische Familie?

Wichtiger erscheint mir das Thema, das ich gerade gemeinsam mit dem israelischen Philosophen Omri Boehm behandelt habe, in einem Gesprächsbuch, das im Jänner erscheint. Es geht darin um Immanuel Kant, jenen Philosophen, der das Konzept des Universalismus mitgeprägt hat. Universalismus besagt, dass es Gesetze und Wahrheiten gibt, die wirklich für alle vernünftigen Wesen gelten müssen. Man kann das auch Humanismus nennen. Es ist jedenfalls das Gegenkonzept zur Identitätspolitik, die Empfindungen der Zugehörigkeit, eigener wie fremder, in den Vordergrund stellt. Ich glaube, man kann solche Gefühle nicht abschalten, sonst wäre man ein Roboter. Aber man sollte sich bemühen, sie nicht zur Basis seiner Urteile zu machen, sonst ist Politik tatsächlich nur noch der Kampf unterschiedlicher Lobbys.

Der Begriff Universalismus taucht in der Israel-Debatte immer wieder auf. Was kann er hier bedeuten?

Zum einen, dass niemand ein Recht auf Massenmord oder Terror haben kann.

Geschenkt!

Natürlich. Aber auch die militärische Antwort Israels sieht problematisch aus, wenn man universalistisch argumentiert. Kant sagt, dass es immer falsch ist, Menschen als Mittel zu verwenden, wenn sie nicht auch der Zweck sind. Persönlich, familiär und kulturell stehen mir die ermordeten israelischen Kinder näher als die palästinensischen Kinder, die jetzt im Bombardement der israelischen Armee umkommen. Kants Universalismus sagt aber, dass solche Nähe mein Denken nicht prägen sollte.

In Israel gehen Menschen für die Rechte der Palästinenser auf die Straße. Wo ist der Universalismus auf den Pro-Palestine-Demos?

Der fehlt natürlich oft völlig. Die jungen Demonstranten, die sich blind mit der Hamas solidarisieren, sitzen so vielen Missverständnissen gleichzeitig auf, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Die Aufgabe ist nicht, beide Seiten als gleichwertig zu sehen, sondern den eigenen Standpunkt nicht durch Gefühle der Identität definieren zu lassen. 

Wie schafft man das?

Der Universalismus hat tatsächlich eine kalte Seite. Es gibt radikale Vertreter wie den britischen Philosophen Derek Parfit, der sagt, dass man kein Recht habe, das eigene Kind anderen Kindern vorzuziehen. Was ihm natürlich leichtfiel, weil er keine Kinder hatte. Das ist allerdings nicht so grausam, wie es klingt, denn es hieße im Idealfall, dass man jedes Kind wie das eigene behandeln würde.

In der aktuellen Israel-Kontroverse fällt auf, dass der jüngeren Generation oft der persönliche Bezug zum Holocaust fehlt. Stehen wir da vor einer Zeitenwende? 

Ich denke oft daran, dass ich noch viele Holocaustüberlebende kennengelernt habe und mein Sohn schon fast keine mehr. Ich habe meinen neuen Roman Thomas Buergenthal gewidmet, einem einflussreichen Richter und Auschwitz-Überlebenden, den ich gut kannte und der vor kurzem gestorben ist. Die Zeitenwende besteht darin, dass die Generation der Zeugen verschwindet. Und da liegt es dann wirklich an uns, die wir die Zeugen noch gekannt haben, die Erinnerung an sie wachzuhalten – nicht nur als historische Fakten, sondern als menschliche Wahrheit. Mir haben noch mein Vater oder Tom Buergenthal oder Imre Kertész oder auch mein Onkel Paul, der Israel auf den Golanhöhen verteidigt hat, von den Konzentrationslagern erzählt. Den Klang ihrer Stimmen habe ich noch im Ohr. Irgendwie muss ich das weitergeben.

In den sozialen Medien ist zu lesen, dass Putin einen Krieg gegen Neonazis führt und Israel einen Holocaust an den Palästinensern begeht. Wie erklären Sie sich solche Verdrehungen?

Es ist das vielleicht größte Problem, dass viele Menschen inzwischen ihre Informationen fast ausschließlich aus Youtube beziehen. Seltsamerweise wird Youtube in den öffentlichen Debatten weitaus seltener zur Rechenschaft gezogen als Facebook oder Twitter, es ist aber viel mächtiger. Die vom Algorithmus ausgewählten Youtube-Videos führen zu einer Form von selektiver Informationsverbreitung. Aber dahinter steht der gewinnmaximierende Algorithmus, der zum Beispiel auch die von russischen, chinesischen oder saudi-arabischen Trollfarmen erzeugte Desinformation ganz automatisch nach vorn stellt.

Wie können wir gegen diese Unbildung ankämpfen?

Darauf habe ich ausnahmsweise eine einfache Antwort: die staatliche Regulierung der Algorithmen, die die sozialen Medien kontrollieren. Die EU ist eigentlich sehr gut darin, problematische Entwicklungen in den sozialen Medien wahrzunehmen und darauf mit Gesetzen zu reagieren. Aber da muss noch mehr passieren, und aus irgendeinem Grund entkommt Youtube dieser Diskussion immer wieder.

Da würden sofort viele sagen, das sei Zensur.

Überhaupt nicht. Kein einziger Inhalt würde verboten. Es geht darum, wie der Algorithmus durch seine ständigen Vorschläge das menschliche Verhalten studiert und beeinflusst. Sein einziges Ziel ist es, dass wir mehr Zeit auf Youtube verbringen. Und das funktioniert tatsächlich, wie die Maschine selbst herausgefunden hat, am besten über Ärger, Wut und Aufregung. Man kann das selber ausprobieren: Zuerst schaut man ein Video über das Pflanzen von Bäumen im Frühling, dann sieht man immer das nächste Video, das Youtube ­empfiehlt – und nach kurzer Zeit landet man unfehlbar bei einer Verschwörungstheorie. 

Dann wäre Youtube so langweilig wie der Kurznachrichtendienst Bluesky, wo es diesen Algorithmus nicht gibt.

Youtube würde wohl langweiliger sein. Das wäre doch ein akzeptabler Preis.

Ist eine solche Regulierung in einer vernetzten Welt überhaupt vorstellbar?

Ich bin da nicht ganz pessimistisch. Es war ja auch so, dass Twitter in der Regulierung von Radikalismus und Wahnsinn viel vernünftiger wurde. Wir wissen alle, was dann passiert ist. Ein Milliardär, der auf Twitter radikalisiert wurde, hat Twitter gekauft, um diese Einschränkungen wieder auszuschalten. Das wäre fast schon lustig, wenn es nicht so furchtbar wäre. 

Derzeit sind jene Politiker erfolgreich,
die diese Algorithmen für sich nutzen.
Geert Wilders in den Niederlanden, Donald Trump in den USA oder Herbert Kickl in Österreich.

Es sieht tatsächlich nicht gut aus. Ich komme da immer auf meine Auseinandersetzung mit dem Dreißigjährigen Krieg zurück, der sich als Folge der Erfindung des Buchdrucks deuten lässt. Jede Medienrevolution hat Verwirrung, Gewalt und Unruhe verursacht, bis die Menschheit gelernt hat, damit umzugehen. 

Wir überstehen die Internetrevolution ohne Dreißigjährigen Krieg?

Ich halte es doch für möglich, dass wir aus der Geschichte lernen. Wobei ich immer an ein Interview denken muss, das der kürzlich verstorbene englische Schriftsteller Martin Amis vor ein paar Jahren gegeben hat. Wie sei es eigentlich möglich gewesen, fragte er, dass im letzten Jahrzehnt die Menschen im Westen so leichtgläubig und verwirrt geworden seien. Seine Antwort lautete: „Das Einzige, was mir da einfällt, ist das Internet.“

Das dazugehörige Stadtgespräch
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