Interview

Thomas Wagner 

Robokratie meint die Vorstellung, dass nicht mehr der kollektive Wille der Menschen entscheidend ist

Gespräch: Josef Redl

FALTER:  Nr. 39/2015

Erscheinungsdatum: 23. September 2015

Thomas Wagner im Gespräch mit Peter Huemer beim 33 Wiener Stadtgespräch © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Thomas Wagner, 1967 in Rheinberg geboren, ist Kultursoziologe und Publizist. In „Robokratie“ (PapyRossa, 2015) erklärt er den Begriff der Singularität und deren Gefahren. In seinem Buch „Die Angstmacher“ (Aufbau, 2017) führt er die Grundthese aus, dass die politische Rechte auf Aktionsformen zurückgreift, die man seit 1968 mit der Linken in Verbindung brachte.

Der Kultursoziologe und Autor Thomas Wagner hat den technologischen Visionen des Silicon Valley nachgespürt. Und ist auf eine verstörende Science-Fiction-Ideologie gestoßen, die Mensch und Maschine verschmelzen lässt. 
FALTER Herr Wagner, Sie schreiben in Ihrem Buch „Robokratie“ vom Menschen als „Auslaufmodell“. Auf dem Arbeitsmarkt ist das ein Problem. Verdrängt die Maschine den schlecht ausgebildeten Menschen? 

Genau. Solange wir als abhängig Beschäftigte, die nicht selber über die Produktionsmittel verfügen, gezwungen sind, unsere Arbeitskraft zu verkaufen, stehen wir unter einer permanenten existenziellen Bedrohung insofern, als Rationalisierungsschritte Arbeitsplätze kosten. Das ist nicht neu. Es scheint sich abzuzeichnen, dass selbst die dem Kapital nahestehenden Experten etwas bekommen, was wir in Deutschland Muffensausen nennen.

Also Angst. Vor der Frage, wie man mit den schlecht ausgebildeten, wegrationalisierten Arbeitslosen umgehen soll?  

Für die meisten Arbeitsmarktexperten ist nicht mehr erkennbar, dass auf diese Art vernichtete Arbeitsplätze durch neue ersetzt werden könnten. 

Historisch gesehen waren Rationalisierungsphasen wie jene während der industriellen Revolution verbunden mit Wachstum. Es gingen zwar Jobs verloren, dafür wurden aber Jobs für besser Qualifizierte geschaffen. 

Das wird so beschrieben, ja. 

Derzeit spricht man allerdings eher von einer Postwachstumsgesellschaft. Wie kann also am Arbeitsmarkt gegengesteuert werden, wenn in wenigen Jahren alle Supermarktkassen vollautomatisiert sind und ein ganzer Berufsstand abgeschafft wird? 

Nicht nur. Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz soll es möglich machen, auch qualifizierte Jobs zu ersetzen. Das betrifft dann auch den Bankangestellten. Dass auch das mittlere Segment des Arbeitsmarktes wegfallen kann, ist neu. Man wird dann noch Jobs für Hilfsarbeiten finden, wenn diese Niedrigstlöhner kostengünstiger sind als Maschinen. 

Volkswirtschaftlich gesehen würde das bedeuten: Die Rationalisierungsgewinne werden privatisiert. Die Kosten für die Arbeitslosen solidarisiert. 

Das würde ich so sehen. Was ich bemerkenswert finde: Ausgerechnet jene Hightech-Konzerne aus dem Silicon Valley, die am meisten von dieser Entwicklung profitieren, verfolgen ja noch einen ganz anderen Anspruch. 

Und zwar? 

Es gibt eben nicht nur den Anspruch, Gewinne zu erzielen – was ja der Logik eines kapitalistischen Systems entspricht –, sondern viele von den Protagonisten in dieser Branche haben den Anspruch, die Welt zu verändern. Oder anders gesagt: die Welt zu verbessern. Es gibt da eine ganz starke Überzeugung, dass es für jedes Problem eine technische Lösung gibt. Hier herrscht beinahe schon ein Verständnis, dass nicht Menschen sich über Probleme verständigen und diese analysieren, streiten oder sich in Arbeitskämpfen oder Parteien organisieren, um den richtigen Weg zu finden. Vielmehr soll die technologische Entwicklung selbst die Antworten auf all diese Fragen bieten. 

Wäre das also die von Ihnen genannte Robokratie? 

Robokratie meint buchstäblich die Vorstellung, dass nicht mehr der kollektive Wille der Menschen entscheidend ist. Es ist die Vorstellung, dass Maschinen nicht nur bestimmte rationelle Aufgaben wie das Lösen von Rechenaufgaben besser erledigen können, sondern sie würden auch so etwas wie Selbstbewusstsein und einen eigenen Willen entwickeln. Und diesem solle man sich anvertrauen. 

Sie verwenden in diesem Zusammenhang auch den Begriff der Singularität. Was bedeutet er? 

Bis vor kurzem war mir der Begriff der Singularität noch sehr fremd. Ich habe als Feuilletonredakteur verschiedene Bücher in die Hand bekommen, die weniger mit Ökonomie oder Technologie zu tun haben, sondern mehr mit Weltgeschichte. Mehrere dieser Bücher endeten dann mit dem Ausblick, dass in zwei, drei, vier Jahrzehnten nicht mehr Menschen die Geschicke der menschlichen Gesellschaft bestimmen, sondern superintelligente Maschinen. Der Zeitpunkt, wann dieser Zustand eintritt, wird als Singularität bezeichnet. Das bedeutet, dass Prognosen über die Zukunft über diesen Punkt hinaus nicht mehr möglich sind, weil ja nicht mehr Menschen das Heft in der Hand haben. Ich kannte das vorher aus der Science-Fiction. Aber dass sich ernsthafte Historiker und Philosophen mit diesem Thema in der Form auseinandersetzen, das hat mich irritiert. 

Die Menschen, die der Vision von der Singularität anhängen, sind keine esoterischen Spinner, sondern einflussreiche Manager aus dem Silicon Valley. 

Ja. Da wäre zum Beispiel Peter Thiel, der als Investor bei Paypal und Facebook ein Vermögen gemacht hat und heute als Risikokapitalgeber für Technologie-Start-ups tätig ist. Thiel investiert in private Institute, die sich mit der Entwicklung von intelligenten Maschinen befassen. Und dann ist da natürlich Google. Das Unternehmen finanziert zum Beispiel eine private Universität, die Singularity University. Da geht es darum, elitäre Kreise aus Management und Technologie in Seminaren und Schulungen mit diesem Singularitätsgedanken vertraut zu machen. Einer der Gründer dieser Universität ist Ray Kurzweil, ein in den USA höchst erfolgreicher Erfinder. Kurzweil ist der wichtigste Ideologe und Prophet dieser Bewegung. Er hat einen Bestseller namens „Singularity Is Near“ geschrieben. Kurzweil ist leitender technischer Ingenieur bei Google. Dieser Mann ist einer der Technikhelden der USA. Er ist Berater des Repräsentantenhauses und des Pentagon bei der Vergabe von Forschungsmitteln. 

Lässt sich aus dieser Geisteshaltung auch etwas über die Unternehmenskultur im Silicon Valley ableiten? 

Ja. Das sind alles Monopolunternehmen. Unternehmen, deren Zweck es nicht ist, in Konkurrenz zu anderen Unternehmen zu stehen, sondern in wenigen Jahren möglichst ein weltweites Monopol zu entwickeln – Amazon, Facebook, Google haben alle eine marktbeherrschende Stellung erreicht. Und sie nützen diese, wie es deren Gründer immer wieder deklamieren, um die Welt zu verbessern. Peter Thiel hat diese Vorstellung in ein Buch namens „Zero to One“ verpackt. Da erklärt er: Wettbewerb war gestern, Marktwirtschaft ist höchstens ein Übergangsstadium zur Gründung von weltbeherrschenden Monopolen. Denn nur diese haben so viel Power, um Innovationen hervorzubringen, die die Welt wirklich verändern können. 

"Amazon, Facebook, Google nützen ihre marktbeherrschende Stellung, um die Welt zu verbessern, wie sie immer wieder deklamieren" 

Thomas Wagner

FALTER Wenn die Problemlösungskompetenz auf die Technologie übergeht, leidet dann zwangsläufig die Demokratie? 

Demokratie ist in dieser Gedankenwelt eine veraltete Technologie. Das Problem der Menschheit bestehe darin, sich mit dieser veralteten Technologie abzugeben, anstatt neue Konzepte zu verwirklichen. Ein anderer Google-Ingenieur, Patri Friedman – übrigens ein Enkel des Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman –, hat dazu das Seasteading Institute gegründet. Zweck dieser von Internetmilliardären finanzierten Einrichtung ist es, auf schwimmenden Inseln mit Gesellschaftsformen jenseits der Demokratie zu experimentieren. 

Frage Verschwimmen hier die Begriffe Science und Fiction, also Wissenschaft und Erfindung? 

Absolut. Einerseits arbeitet Google beispielsweise mit dem Aufkauf von Robotikunternehmen und Unterstützung von Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz konkret an diesen Themen. Andererseits hängen hochrangige Google-Manager wie Ray Kurzweil Unsterblichkeitsfantasien an. 

Unsterblichkeitsfantasien? 

Der Gedanke, Menschen genetisch zu verändern, ist in Deutschland und Österreich historisch tabuisiert. Im Silicon Valley ist das nicht der Fall. Da wird offen über Menschenzüchtungsprogramme diskutiert. Durch den Austausch organischer Bauteile durch widerstandsfähigere Komponenten soll die Lebenszeit des Menschen verlängert werden. Bis hin zur Digitalisierung des Bewusstseins. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Aber solche Visionen werden unter dem Begriff Transhumanismus ernsthaft diskutiert. Es gibt sogar transhumanistische Parteien. In den USA gibt es einen transhumanistischen Präsidentschaftskandidaten namens Zoltan Istvan, der tourt mit einem Wahlkampfbus durch die Gegend, der einem Sarg nachempfunden ist. 

Warum das denn? 

Die Botschaft lautet: Mit ihm stärkt man eine Partei, die den Tod abschafft

Die Thesen

Punkt 1

Cyborgisierung beginnt mit Smartphones 

Indem Menschen Smartphones Tag und Nacht nutzen, passiert eine niederschwellige Form Richtung Cyborgisierung: indem wir unsere geistigen Möglichkeiten vernetzen mit den Computern und uns fit machen für Gehirn-Verstärkung und -Erweiterung. Eine Übergangsphase leitet dann der Austausch von organisch verfallsgefährdetem Material durch robusteres Material ein, hin zu der Phase, in der menschlicher Geist in die Maschine hineingeben wird und Menschen als biologische Wesen nicht mehr existieren.

Punkt 2

Das Versprechen Unsterblichkeit 

Die transhumanistische Bewegung wird zentral koordiniert. Die Transhumanisten in den USA wollen Einfluss sowohl auf die Demokraten als auch auf die Republikaner gewinnen, um Forschungsgelder zu lenken. Die Transhumanistische Partei wirbt damit, die Menschen der Unsterblichkeit einen Schritt näher zu bringen. In Europa werden die Transhumanisten mit so etwas vorerst nicht werben. 

Punkt 3

Pflegeroboter beunruhigen

Werden Roboter bei Pflege älterer Menschen und zur Erziehung von Kleinkindern eingesetzt, kann dies kein Ersatz für humane Zuwendung sein. Wenn im Bereich der Gewerkschaften solche Vorstellungen nicht skandalisiert werden, ist das gefährlich. Diese Fragen müssen breit diskutiert werden.

Das dazugehörige Stadtgespräch
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