Interview

Karen Duve

Die deutsche Autorin über Massentierhaltung, mongolischen Hammelbraten und banale Entscheidungen im Supermarkt

Gespräch: Joseph Gepp

FALTER:  Nr. 39/2011

Erscheinungsdatum: 28.09.2011

17. Wiener Stadtgespräch mit Karen Duve © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Karen Duve ist eine deutsche Schriftstellerin. Ihre literarische Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet. Für ihr Sachbuch „Anständig essen“ probierte sie in einem Selbstversuch verschiedene Ernährungsweisen aus. Duves Erfahrungsbericht regte eine intensive öffentliche Diskussion über unser Essverhalten an.

Das richtige Buch zur richtigen Zeit lieferte Karen Duve Anfang 2011. Als Selbstversuch probierte sie sich ein Jahr durch den vegetarischen, veganen und schließlich frutarischen Ernährungsstil – bei Letzterem isst man nur, was die Pflanze von sich aus hergibt.
FALTER: Frau Duve, am Ende Ihres Buches werden Sie sogar Frutarierin. Was sind Sie heute?

Heute lebe ich vegetarisch – wobei es mir nicht auf Vereinszugehörigkeit ankommt. Ich kann nicht ausschließen, dass ich irgendwann wieder Fleisch esse. Dann macht es aber einen Unterschied, ob das einmal im Jahr passiert – oder ob ich sage: „Wenn ich einmal Fleisch esse, bin ich kein Vegetarier mehr und kann genauso gut ständig Fleisch essen.“

Aber wer einmal im Jahr Fleisch isst, bekommt Lust auf mehr, oder?

Genau. Deswegen lasse ich es auch. Aber falls ich mal eine Reise durch die Mongolei mache, gibt es dort womöglich bloß Hammelfleisch. Es geht mir nicht um Identität, sondern darum, möglichst wenig Leid und Schaden anzurichten.

"Mit Tierquälerei oder Kinderarbeit hergestellte Waren sollten eigentlich gar nicht erst in Supermärkte gelangen" 

Karen Duve

FALTER: Wer anständig essen will, muss vieles bedenken – Anbaumethoden, Artenvielfalt, Herstellungsweise, Herkunft. Wie kann man ohne viel Recherche ein anständiger Esser werden?

Mit Tierquälerei oder Kinderarbeit hergestellte Waren sollten eigentlich gar nicht erst in Supermärkte gelangen. Es ist eigentlich eine Zumutung, dass nicht Politiker, sondern Verbraucher selbst darauf achten müssen, dass sie beim Einkaufen keine Verbrechen unterstützen. Grundsätzlich soll man versuchen, sich mehr Zeit für Einkäufe zu nehmen und sich zu informieren. Eine so wichtige Angelegenheit wie Ernährung verdient Aufmerksamkeit. Lebensmittelauswahl im Supermarkt scheint banal, hat aber Auswirkungen auf Welthunger, Umwelt und Tierhaltung – und natürlich auf den eigenen Körper.

Welchen Rat würden Sie einem Konsumenten ohne Vorwissen geben?

Je nachdem, was ihm wichtig ist. Wenn er Tieren Qualen ersparen möchte, sollte er vor allem kein Fleisch essen. Wenn er die Klimaerwärmung stoppen will, sollte er darüber hinaus Milchprodukte weitestmöglich reduzieren. Wenig Fleisch und tierische Produkte, das ist der gemeinsame Nenner von vielem. Außerdem: regional kaufen, saisonal und bio.

Der größte Teil der Weltbevölkerung isst, was eine hochindustrialisierte Landwirtschaft hergibt. Ist es nicht nur eine beruhigende Lüge, wenn sich der wohlhabende Wiener seine Kresse auf dem Fensterbrett selber zieht?

Sicher auch. Letztlich muss die Politik das entscheiden. Allerdings können die Konsumenten durch einen Trend zu Biolebensmitteln deutlich machen, was sie von Politikern erwarten. Konsumentenmacht ist letztlich eine sehr direkte Macht, vielleicht wirkungsvoller als wählen.

Wie könnte man auch jene zu mächtigen und bewussten Konsumenten erziehen, die beim Lebensmittelkauf auf die Geldbörse schauen müssen?

Es ist ein Mythos, dass konventionell hergestellte Lebensmittel billig sind. Wir alle zahlen hohe Preise über Subventionen. Statt die Landwirtschaft zu subventionieren, sollte das Geld lieber direkt an jene gehen, die knapp bei Kasse sind.

Würden Menschen gesünder essen, wenn sie mehr Geld dafür hätten?

Ach was! Gemüse ist doch nicht teurer als Fleisch. Unsere Gesellschaft hat ein Problem mit Überernährung. Selbst konservative Ärzte schätzen, dass die Europäer dreimal so viel Fleisch essen, wie ihnen guttut – diesen Selbstmord mit Messer und Gabel sollte man nicht auch noch subventionieren. Bedenken Sie: Die meisten Menschen finden zwar, dass man Tiere grundsätzlich essen darf; gleichzeitig gibt es aber auch einen Konsens, dass man Tiere nicht quälen darf. Niemand würde sich trauen, Tiere bei uns auf der Straße so zu quälen, wie es hinter den Wellblechwänden der Schlachthöfe tagtäglich passiert.

In Berlin wurden gerade die Grünen abgestraft, weil sie zu tugendhaft daherkommen sind. Hoch gewonnen hat dafür die rebellische Piratenpartei. Darf man Leuten vorschreiben, gegen Zigaretten, dicke Autos und schlechtes Essen zu sein?

Es stimmt, dass man schnell in den Verdacht gerät, moralinsauer zu sein. Man muss aber unterscheiden zwischen einem moralischen Kanon à la 1950er – und der legitimen Frage, ob mein Verhalten das Wohlbefinden anderer beeinträchtigt oder sogar Lebensraum zerstört. Die Grünen haben Fehler gemacht. Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet – wer über eine Mindestration politischen Überlebenswillen verfügt, kommt vor einer Wahl nicht mit so einem Vorschlag. Die Piraten haben ihren Erfolg aber weniger den Fehlern der Grünen, sondern ihrer Nähe zum Internet zu verdanken. Mit Unmengen an Twitter-Freunden und deren Freunden konnten sie eine Masse mobilisieren, die die Wahl entscheidend beeinflusst hat.

Die Thesen

Punkt 1

Verbrechen durch Unwissenheit

Man weiß, wie die Tiere gehalten werden, aber man weiß es nicht genau. Auch wenn ich Fleisch einkaufen ging, dachte ich, es könne sein, dass die Tiere schlecht behandelt worden sind, aber ich wusste es nicht so konkret. Nach meinem Selbstversuch weiß ich: Die Tiere, die für dieses Fleisch gestorben sind, sind gequält worden. Und zwar alle. Das ist ein richtiges Verbrechen, und ich möchte daran nicht mehr beteiligt sein.

Punkt 1

Fleisch muss teurer werden

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit essen Arme mehr Fleisch als Gutverdiener. Fleisch ist ein Schrottlebensmittel geworden, es ist viel zu billig und muss teurer werden. Wenn Fleisch weiterhin so rücksichtslos hergestellt wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn es sich auch negativ auf den Verbraucher auswirkt – etwa durch Gammelskandale.

Punkt 3

Nichts spricht fürs Weitermachen

Wir wissen, dass die Klimakatastrophe wirklich teuer wird und dass sie das Überleben auf diesem Planeten infrage stellt. Unser Gesundheitssystem kollabiert, selbst konservative Mediziner sagen, wir essen drei Mal so viel Fleisch, wie wir essen sollten. Das sind echte Argumente. Es spricht nichts dafür, so weiterzumachen wie bisher.

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