Gespräch: Wolfgang Zwander
FALTER: Nr. 47/2011
Erscheinungsdatum: 23.11.2011
Das ist mir egal. Es gibt die Position, dass Philosophen die große Öffentlichkeit scheuen sollten. Ich verstehe mich da eher in der Tradition von Aufklärungsphilosophen wie Rousseau und Montesquieu, die mit Raffinesse um die Gunst und die Aufmerksamkeit des Publikums gebuhlt haben, um ihre Ideen unter die Menschen zu bringen.
Seit Platons schlechten Erfahrungen mit dem Tyrannen von Sizilien gibt es dieses Verständnis, dass Philosophen auf Distanz zur Macht gehen sollen. Aber warum eigentlich? Es ist doch auch Feigheit, die sich in diesem Satz zeigt. Ein Philosoph muss ja nicht unbedingt Kanzler werden, aber wer kritisch über seine Zeit nachdenkt, muss doch auch Interesse daran haben, dass seine Gedanken in Politik und Wirtschaft rezipiert werden. Deshalb muss die Philosophie der Macht nahekommen wollen. Alles andere wäre reiner Selbstzweck.
Man muss die Regierenden darauf aufmerksam machen, dass Wirtschaftswachstum nicht der Sinn von Wirtschaft sein kann. So wie es aussieht, wird unsere Ökonomie bald nicht mehr wachsen. Deshalb müssen wir uns schleunigst vom Wachstumsfetisch befreien. Darauf immer wieder hinzuweisen und sich öffentlich dafür einzusetzen, das ist für mich zum Beispiel die Aufgabe eines Philosophen.
Richard David Precht
Es gibt von Sokrates den Satz, dass Siegen dumm macht. Neue gesellschaftliche Weichenstellungen können nur in Momenten der Verunsicherung erfolgen. Nehmen Sie als Beispiel unsere Haltung zu Europa: Lange Jahre haben wir gar nicht mehr darüber nachgedacht, was die EU für uns eigentlich sein soll. Heute ist die Frage in aller Munde, wie wir Europa verändern und demokratischer machen können.
Die Frage ist, wie sehr diese Analyse nicht auch schon vorher zugetroffen hat. Ich glaube aber, dass das Demokratiebedürfnis der Menschen größer geworden ist. Gerade die jüngere Generation ist mündiger und selbstbewusster geworden. Denken Sie zum Vergleich nur an die 1950er-Jahre, in denen sich ein Jugendlicher nie und nimmer öffentlich über Politik auszutauschen wagte. Gleichzeitig ist es aber richtig, dass sich im Zuge der Globalisierung eine sehr hohe Kapitalkonzentration entwickelt hat, die eine neue oligarchische Klasse entstehen ließ.
Wenn man die Deutschen oder die Österreicher abstimmen ließe, ob sie sich im Zweifel für ihr Handy oder für ihr demokratisches Stimmrecht entscheiden würden, hätte ich tatsächlich Angst vor dem Ergebnis. Trotzdem ist die Jugend heute so selbstbestimmt wie noch nie zuvor.
Das ist ja völliger Unsinn. Wenn Sie die heute 70-Jährigen fragen, wer bei 1968 dabei war, dann kommen Sie nur auf eine verschwindende Minderheit dieser Generation. Das kritische Potenzial der heutigen Jugend ist da viel größer. Nehmen Sie die Occupy-Bewegung, die stößt auf weit mehr Resonanz als der Protest von 1968. Selbst die Rentner und Politiker sind dafür, weil sie spüren, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.
Das Finanzsystem, so wie es besteht, wird es unter Umständen nicht mehr allzu lange geben. Wenn es einmal zusammengebrochen ist, müssen wir es wieder aufbauen und das System umdrehen, damit das Geld, das man mit Spekulation verdient, viel höher besteuert wird als jenes, das mit Arbeit verdient wird.
Nein, aber wir müssen vorsorglich Pläne in der Tasche haben, die wir auspacken können, falls das System kollabiert.