Gespräch: Stefan Apfl
FALTER: Nr. 42/2009
Erscheinungsdatum: 14.10.2009
Zurück zu den Banken. Damit wäre die Veranstaltung auch schon wieder zu Ende. Aber dahinter steht eine lange Geschichte, die in den 70er-Jahren mit dem Transfer von Reichtum von den Arbeitenden zu den Besitzenden begann. In ganz Europa wurden seither zehn Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts von der Arbeit zum Kapital transferiert. Während die Investments der Besitzenden befeuert wurden, mussten sich die anderen Geld leihen.
Ja, sie haben die Märkte geöffnet und die Reichen entlastet. Das Argument, dass die unsere Wirtschaft am Laufen halten würden, war aber falsch. Denn die Reichen konsumieren nicht in dem Ausmaß, in dem sie verdienen. Ihr Geld investieren sie in China, Russland oder Südamerika. Das hält vielleicht die Globalisierung und die New Yorker Banken am Laufen, aber nicht unsere Wirtschaft.
Das stimmt auch. Dennoch ist das Kapital heute viel stärker konzentriert. 8,5 Millionen Menschen haben heute 38 Billionen US-Dollar zur Verfügung. Das sind so viele Menschen, wie im Einzugsgebiet von Paris leben. Und die verfügen über das dreifache BIP Europas.
Ich weiß es nicht. Aber das ist genau der Grund, warum sie heute in Deutschland, Frankreich, Italien und England verlieren. Die Vertreter des Neoliberalismus haben letztlich erreicht, dass die Menschen gegen ihre eigenen Interessen stimmen.
Beides ist falsch. Im Weißen Haus und unter den G 20 (den 20 größten Industrie- und Schwellenländern, Anm.) ist der Neoliberalismus gesund und munter. Den Börsen geht es zwar wieder halbwegs gut, dem Rest der Welt jedoch nicht. Die Jobsituation ist bereits alarmierend, jetzt wird es aber erst richtig schlimm.
Nein. Die G 20 haben bei ihrem Apriltreffen vier Länder, darunter Österreich, auf die Liste der Steueroasen gesetzt. Heute gibt es diese Liste nicht mehr. Wenn Sie der G 20 glauben, existieren also keine Steueroasen mehr. Dabei hat alleine Großbritannien ein Dutzend unter seiner Jurisdiktion.
Ich glaube, es war Goethe, der gesagt hat: Das Einzige, das die Geschichte uns lehrt, ist, dass niemand jemals aus der Geschichte lernt.
Wir leben derzeit in einem System, in dem die Finanz über die Wirtschaft verfügt und die Wirtschaft über die Gesellschaft. Und die drei entscheiden gemeinsam, was mit der Umwelt geschehen soll. Dabei sollte es genau umgekehrt sein. Der Zwang müsste von der Umwelt ausgehen. Anhand von ihr sollten wir entscheiden, wie wir unsere Gesellschaft organisieren, in welchem Wirtschaftssystem wir leben wollen und welche Rolle die Finanz dabei spielt.
Ich tue, was ich kann. Ich rede, ich schreibe, ich gebe Interviews. Es geht sehr langsam voran, das muss ich zugeben. Die sozialdemokratischen Parteien haben komplett versagt und verdient, was ihnen gerade passiert. Es wird eine Zeitlang dauern, ehe Parteien wie die deutsche Linke in Regierungsämter kommen. Bis dahin können sie zum Wandel beitragen, indem sie Ideen ins System einspeisen.
Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht sind die Menschen vor Angst gelähmt. Die Medien erzählen ihnen jeden Tag, dass die Krise überwunden ist. Womöglich glauben sie das, obwohl das Gegenteil wahr ist.
Demonstrationen ändern leider nicht viel. Sie brauchen 500.000 Menschen, damit sie überhaupt wahrgenommen werden. Aber was wollen Sie sonst machen? Ich bin jedenfalls für gewaltloses Handeln.
Nein, keinesfalls! In Frankreich etwa ist Attac die einzige Kraft, die Bündnisse schmieden kann. Und darin liegt auch unsere große Chance. Das funktioniert nur, weil wir außerhalb des Wettbewerbs stehen, in dem Parteien existieren. Wenn Attac zur Partei wird, sind wir tot. Für mich steht derzeit aber das Umweltthema ganz oben auf der Liste. Bei gesellschaftlichen und politischen Themen können Sie zurück an den Start gehen und sagen: Probieren wir es anders. Bei der Umwelt geht das nicht. Wenn es zu spät ist, ist es zu spät. Punkt.
Susan George
Ich glaube, es war nie wirklich auf der Agenda. Die Menschen haben die Klimaveränderung noch nicht registriert. Vielleicht gab es ein paar Fortschritte in den letzten Jahren, aber es geht nicht schnell genug. Wir sind weit von der universellen Panik entfernt, die angebracht wäre.
Noch. Aber wir sitzen alle im selben Boot. Was machen wir, wenn Millionen Menschen zu uns kommen, weil sie weder Wasser noch Essen haben? Europa ist darauf nicht vorbereitet. Sollen wir die Umweltflüchtlinge an der Grenze erschießen?
Es braucht Regierungsgelder. Es braucht einen großen grünen Gesinnungswandel, a big green deal, der alles einbezieht – auf globaler und nationaler, auf regionaler und lokaler Ebene. Wir brauchen grüne Energie, grüne Städte und grüne Politik. Sonst werden Ihre Kinder ein scheußliches Leben haben. Die nächste Katastrophe wird vielleicht nicht die letzte, aber sie wird irreversibel sein.
Ich hoffe das Beste und befürchte das Schlimmste.
Dass der Norden dem Süden hilft. Dass der Norden dafür sorgt, dass Technologien für grüne Energiegewinnung so schnell und unbürokratisch wie möglich verbreitet werden. Wir müssen unsere Emissionen stark reduzieren. Und zumindest zwei Prozent unseres BIP in den grünen Wandel stecken.
Dass man sich auf nichts festlegt, außer auf einen neuen Termin. Die Regierungen wissen jedenfalls genau, was sie tun. Ihr Ziel ist: business as usual. Sie werden sagen, dass sie für all diese Maßnahmen kein Geld hätten. Aber das ist eine Lüge.
Bei der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen hätte ein gemeinsames, ambitioniertes, für alle Staaten verbindliches Klimaschutzabkommen entstehen sollen. Hintergrund: Das Kioto-Protokoll von 1997 – ein UN-Abkommen zur Bekämpfung der Erderwärmung – lief 2012 aus. Eine Nachfolgeregelung sollte bei der groß angelegten Konferenz in Kopenhagen gefunden werden, an der über 120 Staats- und Regierungschefs teilnahmen. Die Konferenz scheiterte: Statt auf ein verbindliches Abkommen einigte man sich in der „Kopenhagen-Vereinbarung“ nur auf eine politische Erklärung, die von der Vertragsstaatenkonferenz formal bloß „zur Kenntnis genommen“ wurde. Bei der Klimakonferenz in Doha drei Jahre später gelang ebenfalls lediglich ein Minikompromiss. Zwar wurde das Kioto-Protokoll bis Ende 2020 verlängert. Allerdings einigte man sich bei Kioto II darauf, keine schärferen Verpflichtungen vorzunehmen. Und: Nur 37 Länder haben sich zu Kioto II verpflichtet. Deren Anteil an den weltweiten Treibhausemissionen: rund 15 Prozent.
Die ärmste Hälfte der Welt besitzt weniger als ein Prozent des globalen Haushaltseinkommens, die reichsten zehn Prozent der Erwachsenen besitzen hingegen 85 Prozent. Auf der ganzen Welt gibt es 8,7 Millionen Menschen, die insgesamt über 38 Billionen Dollar verfügen. Davon wiederum besitzen 78.000 Menschen weltweit 13 Billionen Dollar – das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der EU. Das Geld verdichtet sich an der Spitze. Früher gab es eine 20-80-Regel: 20 Prozent der Bevölkerung hatte 80 Prozent des Reichtums, 20 Prozent der Banken hatten 80 Prozent der Konten, 20 Prozent der Buchgeschäfte verkauften 80 Prozent der Bücher usw. Diese Regel funktionierte früher fast überall. Heute ist das Verhältnis eher 10:90.
Arbeiter können die Probleme der Arbeiter alleine nicht lösen, auch wenn ihnen Gewerkschaft und Arbeiterkammer zur Seite stehen. Genauso wenig können Frauen den Feminismus alleine umsetzen, und auch die globalisierungskritische NGO Attac wird an der Frage des internationalen Besteuerungssystems scheitern, wenn sie alleine bleibt. Das heißt, wir müssen uns zusammenschließen, nur gemeinsam können wir unsere Regierungen zwingen, etwas zu bewegen.
Die Bürger wissen nicht, dass sie in den letzten 30 Jahren beraubt worden sind. Das Geld ist die soziale Leiter hochgeklettert und bleibt dort. Den Banken wurde das Geld in den Rachen geworfen, sie haben unglaublich hohe Profite gemacht. Heute sind sie zu groß, um zu scheitern. Das ist obszön. Den Regierungen fehlt zwar das Geld für Gesundheit oder Bildung. Aber sobald die Banken Schwierigkeiten haben, finden sie plötzlich Geld, um ihnen zu helfen.