Gespräch: Matthias Dusini
FALTER: Nr. 23/2023
Erscheinungsdatum: 7. Juni 2023
Rassismus sei wie Smog, den wir täglich einatmen, sagt die Berliner Autorin Tupoka Ogette. „Er ist die Norm und nicht die Abweichung.“ Ogettes 2017 erschienenes Handbuch „Exit Racism“ entwickelte sich zu einem Bestseller, der sich vor allem auch an jene richtet, die sich über Ressentiments erhaben fühlen. Das Wort „Schwarz“ schreibt Ogette groß, als Markierung einer Gruppe, die aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt wird.
Nun kommt Ogette nach Wien, um über ihre Aufklärungsarbeit und ihre aktuellen Bücher „Und jetzt du“ und „Tag für Tag aktiv gegen Rassismus“ zu sprechen. Sie gibt Ratschläge für ein rassismuskritisches Leben.
Ja.
Wir alle diskriminieren in unserem Leben. Und wir alle erleben Diskriminierung. Was hilft es Ihnen aber, wenn ich jetzt darlege, was ich für Vorurteile habe? Oder geht es darum zu zeigen, dass – in Ihrer Terminologie gesprochen – Opfer auch Täter und Täterinnen sein können? Natürlich können sie das. Aber es gibt einen Unterschied. Als Schwarzer Mensch kann ich nicht rassistisch gegenüber weißen Menschen sein.
Weil Rassismus ein System ist, welches etabliert wurde, um weiße Menschen zu bevorteilen. Demnach können sie von selbigem nicht negativ betroffen sein. So wie heterosexuelle Menschen keine Homofeindlichkeit erleben können und cis-Menschen keine Transfeindlichkeit. Das heißt aber nicht, dass weiße Menschen keine Diskriminierung erleben können. Im Gegenteil. Weiße Menschen können von Klassismus, Homo- und Transfeindlichkeit oder Ableismus betroffen sein. Es ist komplex, und genau deshalb ist rassismuskritisch denken und leben zu lernen ein Prozess.
Natürlich. Es ist ein Mythos zu glauben, dass die DDR rassismusfrei war, nur weil sie sich das selbst auf die Fahne geschrieben hat. Das, was in den sogenannten Baseballschlägerjahren, also der Zeit nach der Wiedervereinigung, in Städten wie Rostock explodiert ist, kam nicht von ungefähr. Es gab eine tiefsitzende rassistische Verachtung und einen Paternalismus diesen sogenannten Brüdern und Schwestern gegenüber.
Nein. Der Westen war ebenso rassistisch sozialisiert. In den 1990ern kamen etablierte Nazistrukturen in den Osten, um zu rekrutieren. Auch in Berlin-Kreuzberg wurde ich damals körperlich angegriffen, es gab Sicherheitszonen für BIPOC (Black, Indigenous, and People of Color).
In der DDR wurde vielleicht über Produktionsverhältnisse gesprochen, im Kern war die DDR aber eine Parteidiktatur. Marxistische Kritik war allenfalls Rhetorik. Mir nahestehende Menschen waren im Gefängnis, stellten Ausreiseanträge und hatten Angst vor Stasi-Überwachung. Statt Freiheit gab es Mauer und Schießbefehl. Selbstverständlich finde ich es wichtig, dass Rassismus auch im ökonomischen Kontext diskutiert wird, das steht nicht im Widerspruch zur Identitätsdiskussion.
Schwarzsein ist so viel mehr als das, was der white gaze – also der weiße Blick auf Nichtweiße – festlegt und imaginieren kann. Blackness ist Widerstandskultur und Kunst. Sie ist Erinnerungskultur, Community, Resilienz und spirituelle Verbindung. Ich verbinde damit keine Festlegung, sondern Zukunftsvisionen und widerständige Liebe.
Tupoka Ogette
Ich finde, zeitgenössische Literatur kann und sollte gut ohne die Reproduktion dieses gewaltvollen Begriffs auskommen. Alte Texte sollten mit Content- oder Triggerwarnungen versehen werden. Framing, also die Einbettung der Begriffe in ihren historischen Kontext, ist da essenziell. Kinder- und Jugendliteratur, vor allem sogenannte Pflichtlektüre in Bildungsinstitutionen, sollte sich auf Literatur beschränken, die nicht zu rassistischer Sozialisierung beiträgt. Schwarze Menschen hingegen können unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem N-Wort haben.
Bin ich in meiner freiberuflichen Tätigkeit als Trainerin und Beraterin jetzt für Sie eine Industrie? Schmeichelhaft, aber natürlich absurd. Weiße Vorherrschaft und Rassismus sind eine der größten Industrien, die es gibt. Der Kampf gegen Rassismus wird nach wie vor von Communitys, Netzwerken und vielen aktivistischen Einzelpersonen geführt. Die zu großen Teilen ehrenamtlich, in unbezahlten Überstunden arbeiten. Erst wenn es Institutionen gäbe, könnte man von einer Industrie sprechen. Davon sind wir weit entfernt. Auch wenn Ihre Suggestivfrage darauf hinauswill.
Warum abgesehen von den Williams-Schwestern? Sie waren in der Tat bahnbrechend für mehrere Generationen von jungen Schwarzen Mädchen. Auch ich habe ihre Karriere verfolgt und mich sehr über die Verfilmung „King Richard“ gefreut. Ich mag Naomi Osaka sehr. Aber auch Coco Gauff und Taylor Townsend. Beide habe ich letztes Jahr bei den French Open spielen sehen dürfen. Das war ein sehr besonderes Erlebnis.