Gespräch: Wolfgang Zwander
FALTER: Nr. 06/2015
Erscheinungsdatum: 4. Februar 2015
Nein, ich habe Deutsch komplett verlernt. Das passiert, wenn Familien früh zerrissen werden. Ich habe mit meinen Pflegeeltern in London nur Englisch gesprochen. Ich kann mich auch nur noch sehr schlecht an das Wien meiner Kindheit erinnern, obwohl ich dort zwei Jahre gelebt habe. Mein Name Stephanie kommt übrigens vom Wiener Stephansdom.
Was für eine Zeit! Meine Eltern haben das Naziregime zum Glück auch überlebt, mein Vater landete in Australien, meine Mutter ebenfalls in Großbritannien. Wir hatten aber seit der Flucht nur noch sehr wenig miteinander zu tun. Ich wuchs bei einer Pflegefamilie auf. So habe ich bereits als Kind gelernt, mit Wandel umzugehen, mich permanent Veränderungen anzupassen. Ich erlebte eine neue Familie, eine neue Sprache, eine neue Kultur. Das hat mir in meinem Berufsleben extrem geholfen. In der Hightech-Branche, in der ich gelandet bin, ist ständig alles im Fluss und man muss sich ständig neuen Entwicklungen anpassen. Dafür war ich gerüstet.
Als ich in die Softwarebranche eingestiegen bin, war ich ein Neuling, niemand hat mir gesagt, was ich wie zu tun hätte. Deshalb habe ich Dinge, die für viele selbstverständlich waren, einfach noch einmal ganz neu und anders betrachtet. Weil ich von außen kam, hatte ich einen ganz anderen Blick auf das Geschäft. Ich liebte es damals, eine Unternehmerin zu sein, an neuen Dingen zu arbeiten, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Als Frau war das schwierig, weil man nicht ernst genommen wurde. Deshalb beschäftigte ich in meiner Firma zu Beginn nur Frauen, weil ich uns ein angenehmes Arbeitsumfeld schaffen wollte. Ein Antidiskriminierungsgesetz hat mir das aber dann später verboten. (Lacht.)
Die meisten Leute erinnern sich heute an meine Erfolge, aber es gab auch sehr viele Niederlagen in meinem Leben. Diese negativen Erfahrungen haben mich sehr viel mehr gelehrt als die positiven. In den 1970er-Jahren gab es in Großbritannien eine starke Rezession, und ich war damals sehr unerfahren. Ich musste erkennen, dass es bislang vor allem die Marktlage war, die meinen Erfolg ermöglichte. Als Märkte wegfielen, lernte ich schmerzhaft, dass es vor allem darauf ankommt, das Wesentliche des eigenen Geschäftsmodells zu erkennen und sich ganz darauf zu fokussieren. Das war meine wichtigste Lektion. Man darf nicht zu viele Ziele gleichzeitig verfolgen, man muss fokussieren.
Die gesetzlichen Diskriminierungen wurden aufgehoben, ohne meinen Mann hätte ich ja nicht einmal ein Bankkonto eröffnen dürfen. Heute geht es vor allem um kulturelle Benachteiligungen, die aber viel schwieriger zu beseitigen sind als gesetzliche Missstände. Ich war etwa immer eine absolute Gegnerin der Frauenquote. Was für eine entsetzliche Vorstellung, eine Quotenfrau zu sein. Die Idee von Quoten mag ich noch immer nicht, aber heute denke ich milder darüber. Ohne sie wird die berufliche Vorherrschaft der Männer wohl nicht zu beseitigen sein.
Dame Stephanie Shirley
Die Idee kam von meinem Mann. In den frühen Tagen meiner Firma beantworteten viele potenzielle Geschäftspartner einfach meine Briefe nicht. Mein Mann sagte, ich sollte die Briefe mal mit Steve Shirley unterzeichnen. Und siehe da, es wirkte, die Antworten wurden viel mehr. Stephanie Shirley klingt ja auch wirklich nach einem jungen Mädchen. (Lacht.)
Wir haben das Gespräch mit meiner Flucht aus Wien begonnen. Ein Leben, das mit solchen Erlebnissen und Schicksalsschlägen beginnt, führt ganz automatisch zu psychischen Schwierigkeiten. Ich hatte lange Zeit mit schweren Depressionen zu kämpfen. Das beste Heilmittel gegen Depression ist ganz einfach: Mitgefühl. Ich weiß, wenn ich anderen Menschen helfe, dann geht es auch mir gut, es macht mich fröhlich. Ich hatte außerdem einen autistischen Sohn, der leider mit 35 Jahren gestorben ist. Ich möchte mit meinen Spenden helfen, dass diese Krankheit besser erforscht wird