Interview

Dame Stephanie Shirley 

Die Nazis vertrieben sie aus Wien. In London wurde sie zur Software-Millionärin

Gespräch: Wolfgang Zwander

FALTER:  Nr. 06/2015

Erscheinungsdatum: 4. Februar 2015

Dame Stephanie Shirley im Gespräch mit Rosa Lyon © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Stephanie Shirley ist ein unfassbar beeindruckender Mensch: Sie hat sich als Unternehmerin mit einer eigenen Firma im Technologiebereich behauptet. Sie hat in dieser Männerdomäne nicht nur aus Überzeugung oder aus selbstloser Großzügigkeit Frauen beschäftigt, oft alleinerziehende Frauen, sondern war mit ihrer Strategie wirtschaftlich enorm erfolgreich.

Stephanie Shirley, 1933 in Dortmund geboren, wird als Fünfjährige mit einem der letzten Kindertransporte von Wien nach London geschickt, um der Verfolgung durch das NS-Regime zu entkommen. Mit einem Startkapital von sechs Pfund gründet sie 1962 die Software-Firma F International Group, die sie zu einem globalen Konzern ausbaut.

Im Jahr 1939, Österreich gib es nicht mehr, lebte in Wien ein kleines Mädchen namens Vera Stephanie Buchthal. Aus der kleinen Vera, Tochter eines deutschen Juden, die als Fünfjährige ohne ihre Eltern vor den Nazis mit dem Zug nach London flüchtete, ist die 81-jährige Philanthropin Stephanie Shirley geworden. Im Jahr 2000 wurde sie von Prinz Charles zur Dame des Britischen Empire erhoben. Shirley machte in der britischen Software-Industrie Karriere, beschäftigte tausende Mitarbeiter, wurde zur Millionärin und spendete einen Großteil ihres Reichtums für wohltätige Zwecke. 
FALTER Frau Shirley, als Kind haben Sie bei Dortmund und in Wien gelebt und auch Deutsch gesprochen. Beherrschen Sie die Sprache heute noch? 

Nein, ich habe Deutsch komplett verlernt. Das passiert, wenn Familien früh zerrissen werden. Ich habe mit meinen Pflegeeltern in London nur Englisch gesprochen. Ich kann mich auch nur noch sehr schlecht an das Wien meiner Kindheit erinnern, obwohl ich dort zwei Jahre gelebt habe. Mein Name Stephanie kommt übrigens vom Wiener Stephansdom. 

Als Sie mit fünf Jahren ohne Ihre Eltern in London ankamen, sprachen Sie kein Wort Englisch. 

Was für eine Zeit! Meine Eltern haben das Naziregime zum Glück auch überlebt, mein Vater landete in Australien, meine Mutter ebenfalls in Großbritannien. Wir hatten aber seit der Flucht nur noch sehr wenig miteinander zu tun. Ich wuchs bei einer Pflegefamilie auf. So habe ich bereits als Kind gelernt, mit Wandel umzugehen, mich permanent Veränderungen anzupassen. Ich erlebte eine neue Familie, eine neue Sprache, eine neue Kultur. Das hat mir in meinem Berufsleben extrem geholfen. In der Hightech-Branche, in der ich gelandet bin, ist ständig alles im Fluss und man muss sich ständig neuen Entwicklungen anpassen. Dafür war ich gerüstet. 

Sie begannen 1951 als Assistentin in einer Forschungsabteilung bei der Post. 1957 zählten Sie zu den ersten Mitgliedern der British Computer Society. 1962 gründeten Sie eine eigene Softwarefirma und wurden reich und erfolgreich. Was war Ihr Erfolgsgeheimnis? 

Als ich in die Softwarebranche eingestiegen bin, war ich ein Neuling, niemand hat mir gesagt, was ich wie zu tun hätte. Deshalb habe ich Dinge, die für viele selbstverständlich waren, einfach noch einmal ganz neu und anders betrachtet. Weil ich von außen kam, hatte ich einen ganz anderen Blick auf das Geschäft. Ich liebte es damals, eine Unternehmerin zu sein, an neuen Dingen zu arbeiten, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Als Frau war das schwierig, weil man nicht ernst genommen wurde. Deshalb beschäftigte ich in meiner Firma zu Beginn nur Frauen, weil ich uns ein angenehmes Arbeitsumfeld schaffen wollte. Ein Antidiskriminierungsgesetz hat mir das aber dann später verboten. (Lacht.) 

Wenn Sie auf Ihr Berufsleben zurückblicken, was ist die wichtigste Businessregel, die Sie gelernt haben? 

Die meisten Leute erinnern sich heute an meine Erfolge, aber es gab auch sehr viele Niederlagen in meinem Leben. Diese negativen Erfahrungen haben mich sehr viel mehr gelehrt als die positiven. In den 1970er-Jahren gab es in Großbritannien eine starke Rezession, und ich war damals sehr unerfahren. Ich musste erkennen, dass es bislang vor allem die Marktlage war, die meinen Erfolg ermöglichte. Als Märkte wegfielen, lernte ich schmerzhaft, dass es vor allem darauf ankommt, das Wesentliche des eigenen Geschäftsmodells zu erkennen und sich ganz darauf zu fokussieren. Das war meine wichtigste Lektion. Man darf nicht zu viele Ziele gleichzeitig verfolgen, man muss fokussieren. 

Sie waren als Frau eine Exotin in der Softwarebranche. Haben Frauen es heute leichter? 

Die gesetzlichen Diskriminierungen wurden aufgehoben, ohne meinen Mann hätte ich ja nicht einmal ein Bankkonto eröffnen dürfen. Heute geht es vor allem um kulturelle Benachteiligungen, die aber viel schwieriger zu beseitigen sind als gesetzliche Missstände. Ich war etwa immer eine absolute Gegnerin der Frauenquote. Was für eine entsetzliche Vorstellung, eine Quotenfrau zu sein. Die Idee von Quoten mag ich noch immer nicht, aber heute denke ich milder darüber. Ohne sie wird die berufliche Vorherrschaft der Männer wohl nicht zu beseitigen sein. 

"Ohne meinen Mann hätte ich nicht einmal ein Konto eröffnen dürfen"

Dame Stephanie Shirley

FALTER Sie haben Ihre Briefe zeitweise mit „Steve Shirley“ unterzeichnet. 

Die Idee kam von meinem Mann. In den frühen Tagen meiner Firma beantworteten viele potenzielle Geschäftspartner einfach meine Briefe nicht. Mein Mann sagte, ich sollte die Briefe mal mit Steve Shirley unterzeichnen. Und siehe da, es wirkte, die Antworten wurden viel mehr. Stephanie Shirley klingt ja auch wirklich nach einem jungen Mädchen. (Lacht.)  

Warum haben Sie den Löwenanteil Ihres Vermögens gespendet?  

Wir haben das Gespräch mit meiner Flucht aus Wien begonnen. Ein Leben, das mit solchen Erlebnissen und Schicksalsschlägen beginnt, führt ganz automatisch zu psychischen Schwierigkeiten. Ich hatte lange Zeit mit schweren Depressionen zu kämpfen. Das beste Heilmittel gegen Depression ist ganz einfach: Mitgefühl. Ich weiß, wenn ich anderen Menschen helfe, dann geht es auch mir gut, es macht mich fröhlich. Ich hatte außerdem einen autistischen Sohn, der leider mit 35 Jahren gestorben ist. Ich möchte mit meinen Spenden helfen, dass diese Krankheit besser erforscht wird

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