Interview

Marc Elsberg

Wie der Mensch das Klima steuern könnte, was das mit Weltpolitik zu tun hat und warum Klimaaktivisten umdenken müssen

Gespräch: Barbara Tóth

FALTER:  Nr. 11/2023

Erscheinungsdatum: 15. März 2023

Portrait Marc Elsberg © Clemens Lechner
© Clemens Lechner
Zur Person

Marc Elsberg wurde 1967 in Wien geboren. Er war Strategieberater und Kreativdirektor für Werbung in Wien und Hamburg sowie Kolumnist des Standard. Heute lebt und arbeitet er in Wien. Er ist Autor von sechs Büchern, die in viele Sprachen übersetzt wurden.

Draußen stürmt es, in der Brasserie Palmenhaus im Wiener Burggarten erhitzt die Sonne die Luft auf gut 30 Grad. Bestseller-Autor Marc Elsberg zieht seinen Pullover aus und krempelt die Ärmel seines Hemdes auf. Wie passend. In seinem neuen Science-Fiction-Thriller „Celsius“ führt die Klimakrise in eine Art Weltkrieg und dann in die totale Katastrophe. Gekämpft wird mit den Methoden des Geoengineerings: mit Drohnen, die Partikel in die Stratosphäre einbringen, und Spiegelflächen im All. Das ist ein technisch mögliches Szenario, aber wird es sich auch verwirklichen? 
FALTER Herr Elsberg, Sie sind bekannt als akribischer Rechercheur. Wo haben Sie sich über das Thema Geoengineering informiert?

Für einen Thriller-Autor wie mich war das wie im Paradies: Es gibt wahnsinnig viel Theoretisches, wahnsinnig viel Quatsch, aber bislang keine praktische Forschung, Experimente. Viele Dinge, auf die ich gestoßen bin, kamen mir vor wie Prototypen auf Automessen: Sie sind nur zum Aufsehenerregen da und werden nie verwirklicht, weil sie zu teuer und völlig absurd sind. Es wird wohl nie Mondstaub zwischen Sonne und Erde geblasen werden. Aber zu „Solar Radiation Management“ (siehe Marginalie Seite 45), das in meinem Buch die Chinesen anwenden, gibt es inzwischen einen ganzen Haufen wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Papiere da draußen…

Mit „da draußen“ meinen Sie das Internet? 

Ja. Es sind vor allem theoretische Berechnungen. Man versucht, manche Ansätze auch in Klimamodellen zu simulieren, wobei ausgerechnet Luftbewegungen und Wolkenbildungen bislang eine Achillesferse der Klimamodelle sind – die können das noch nicht ordentlich. Manche Papiere sind vorveröffentlicht, manche schaffen es durch eine Peer-Review und manche erschienen sogar in angesehenen Fachpublikationen wie Science, Nature und Co. Die Diskussionen unter diesen Prognosen und Simulationen zu verfolgen, fand ich besonders spannend. Geoengineering boomt, aber bis heute ist es reine Theorie, es gibt keine Empirie – was natürlich für einen Autor für mich ideal ist. Weil es durchaus einmal sein könnte, aber noch nicht ist.

Sie mussten das Buch in der Pandemie schreiben, hat es das für Sie einfacher gemacht?

Schreiben kann ich nur, wenn ich Ruhe habe. Das geht nicht, wenn ich so wie jetzt auf Lesereise gehe oder zu Vorträgen oder Diskussionen eingeladen werde, auch zu Wirtschaft und Politik, was ich kurioserweise oft werde …

… weil Sie seit Ihrem Bestseller „Blackout“ Expertenstatus haben …

… ja, und was ich auch gerne mache, weil ich sonst nur zu Hause säße und im eigenen Saft koche. Aber jedenfalls: Mich hinsetzen und fünf, sechs Seiten pro Tag schreiben, das ginge derzeit nicht. Ich kann plotten – also einen Plot, eine Handlung ausdenken –, ein Exposé entwerfen, mir Figuren überlegen.

Sie bauen Ihre Bücher ganz so, wie man sich das vorstellt, mit einer Pinnwand mit vielen Zetteln und Fäden drauf?

Genau. Ich bin ein Architekt, wie die Angelsachsen sagen würden. Für Celsius haben wir im Buch erstmals vorne drin ein Personenverzeichnis angelegt, weil es so viele Figuren gibt. So breit angelegte Geschichten kann man nicht einfach drauflosschreiben, davon bin ich überzeugt. Manchmal bin ich ungeduldig und will losschreiben, wenn ich weiter hinten beim Plotten nicht weiterkomme, aber das ist bei mir die Garantie dafür, um in eine Schreibblockade zu laufen.

Sind Sie so diszipliniert, weil Sie aus der Werbung kommen?

Nein, das war in der Werbung schon ähnlich. Es gibt verschiedene Arten von Kreativität. Zu hundert Prozent bin ich nicht durchgeplant, im Schreibprozess drehen sich auch mal Dinge. Aber einfach draufloskreieren, ohne sich genau mit dem Produkt zu beschäftigen, das macht doch keinen Sinn.

„Manchmal tauche ich in Debatten ein und denke mir: Oida?“

Marc Elsberg

FALTER Tauchen Sie auch in Verschwörungssphären ein zur Recherche? Geoengineering ist dort ja auch ein Riesenthema, im Sinne von: Die Klimakrise wird im Geheimen von den USA angetrieben.

Ich tauche nicht so tief rein, weil dann wirst du wahnsinnig. Auf der anderen Seite ist es natürlich faszinierend mitzuverfolgen, was da abgeht. Dank Blackout habe ich auch ein paar Fans aus diesem Spektrum gewonnen, aus der Prepper-Szene – also jener Szene, die sich auf einen Weltuntergang vorbereiten will. Man kann sich ja nicht aussuchen, wer seine Bücher liest. Manchmal tauche ich in Debatten ein und denke mir: Oida? Aber ich will auch verstehen, wie diese Menschen ticken. Wenn ich als Autor gelesen und gehört werden möchte, muss ich mich in andere hineinversetzen können. Was treibt sie an? Aber wie bei jedem Rabbit Hole muss man aufpassen, dass man auch wieder rauskommt.

Welche konkrete Inspiration finden Sie dort? 

Um eine gute Heldin zu haben, brauche ich einen richtig guten Bösen. Die „Bösen“ sind eigentlich die viel interessanteren Gestalten, über die man sich auch zuerst Gedanken machen muss. In Wahrheit sind die Helden zumindest in der ersten Hälfte der Geschichte immer Getriebene. Da passiert irgendwas und sie müssen darauf reagieren. Auch in Celsius ist der Böse aus seiner Sicht nicht böse, auch aus meiner nicht. Er hat Motive, warum er so handelt. Und manches davon finde ich in Verschwörungsforen. Dabei muss man immer vorsichtig sein. Vieles ist völliger Schwachsinn. Aber nicht alles: Als ich in den späten Nullerjahren für Blackout recherchiert habe, ließ ich mich von IT-Sicherheitsleuten beraten. Sie gingen davon aus, dass alles, was an digitaler Kommunikation passiert, mitgehört wird. Damals war das eine Verschwörungstheorie. Fünf Jahre später kam dann Edward Snowden – und es zeigte sich, sie hatten recht gehabt.

Aber gerade beim Geoengineering gibt es derzeit mehr Kritik als Zuspruch – wieso glauben Sie, dass es in Zukunft funktionieren kann?

Technisch durchführbar sind die meisten Ideen, sogar Mondstaub. Aber praktisch machbar und finanzierbar sind sie eher nicht. Wenn man sich – so wie ich – viel damit beschäftigt, wie man Szenarien in eine nahe oder weitere Zukunft weiterentwickelt, darf man nicht der Versuchung erliegen, die Vergangenheit linear fortzuschreiben. Das passiert leider auch in der Klimadebatte zu oft. Das nimmt uns Möglichkeiten und macht uns pessimistisch.

Was meinen Sie? 

Ideen wie: Wenn das so weitergeht wie bisher mit der Erhitzung, dann kommt der Weltuntergang. Aber ich glaube, wir werden Mittel und Lösungen finden, die momentan noch nicht absehbar sind. Technologische, ökonomische oder soziale, die uns vielleicht völlig neue Perspektiven eröffnen. Die Diskussion über Geoengineering wird kommen, und sie wird immer heftiger werden, weil sie die Verlockung eines schnellen, billigen Fixes bietet. Sie ist alles andere als eine Dauerlösung, aber politisch attraktiv. Die Frage ist immer auch: Welche Risiken hat sie? 

In Ihrem Buch erpresst China den globalen Norden, indem es Geoengineering einsetzt. Sie halten das für realistisch? 

Die Prämisse des Buches ist: Was passiert, wenn die Opfer der Klimakrise, der globale Süden, sagen: „Es reicht. Wir tun jetzt wirklich was. Auch wenn es euch nicht passt. Jetzt seht ihr mal, wie es einem geht, wenn man keine Rücksicht nimmt."? Und es geht noch weiter: Laut Studien gibt es so etwas wie ein ökonomisch optimales Klima. Es ist kein Zufall, dass alle derzeit erfolgreichen Volkswirtschaften wie die USA, Europa, China, Japan in den gemäßigten Klimazonen mit einer Durchschnittstemperatur von 13 bis 15 Grad liegen. Und dass Kanada, Mittel- und Nordeuropa und Russland potenziell vom Klimawandel profitieren könnten.

Weil die Wirtschaft sich dann dorthin verlagert?

Genau. Das deutsche BIP könnte mit der Klimaerhitzung sogar steigen. So gesehen ist es ziemlich bizarr, dass eine der stärksten Klimaschutz-Bewegungen global gesehen in Deutschland entstanden ist.

In „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson setzt Indien Geoengineering ein, in „Don’t Look up“ wird die Klimakrise als tödlicher Asteroid paraphrasiert. Beide fiktiven Werke gelten als Bibeln der Klimabewegung. Hat Sie das inspiriert?

Als das herauskam, war ich schon mitten im Schreiben. Robinson behandelt das Thema Geoengineering ja nur nebenbei. Aber natürlich habe ich es mir dann sofort angeschaut. Mir ist es ein bisschen zu langsam erzählt und zu linear, zu didaktisch. Auch den Film „Don’t Look up“ fand ich klischeebeladen und langweilig.

Dabei geben beide, Buch wie Film, die gängige Erzählung der Klimabewegung wieder: Aufwachen, es ist schon fast zu spät, wenn wir nicht handeln, gehen wir unter. Schlechtes Storytelling? 

Die Klimakrise ist im Wesentlichen zu einer Kommunikationskrise geworden. Und das wurde bewusst von Konzernen herbeigeführt. In den Nullerjahren, man kann es genau festmachen. Es begann mit diesem Rechner für den eigenen ökologischen Fußabdruck.

Der von BP popularisiert wurde.

Und damit ist es gekippt. Davor war die Bewusstseinswerdung eigentlich auf einem guten Weg. Sie fand in der Mitte der Gesellschaft statt. Erinnern wir uns: In Österreich gab es die Idee einer ökosozialen Marktwirtschaft, sie kam direkt aus der ÖVP. In den USA schrieb Al Gore Bestseller. Und dann kam das neue Narrativ: Wir als Politiker und als Wirtschaft können gar nichts machen, solange ihr nicht anfängt, weniger Fleisch zu essen, Rad zu fahren, nicht mehr zu fliegen! Damit wurde die Verantwortung abgeschoben, die Schuld individualisiert.

Und die Klimaaktivisten haben das zum Teil übernommen? 

Ja, leider. Sich auf die Straße zu kleben, halte ich für einen strategisch kommunikativen Fehler. Damit signalisiere ich: Nicht die Politik oder der OMV-Chef ist verantwortlich, sondern alle, die im Stau stehen. Paradoxerweise erzählen diese Aktivistinnen das Narrativ der fossilen Industrie aus den Nullerjahren weiter und machen sich letztendlich zu deren Handlangern.

Aber gibt Ihnen der PR-Erfolg nicht recht? Wir reden so viel wie noch nie über das Klima, seit es radikalere Aktionen gibt. 

ad News are good news? Nein. Im Lärm um die Aktion, in dieser Kakophonie gehen die an sich guten Anliegen wie Tempo 100 unter. Ziel der Aktionen muss die Politik, die Wirtschaft sein. Ganz ehrlich: Die Aufmerksamkeit für das Thema ist ohnehin da. Im Gegenteil: Wir sind so übersättigt, dass wir gar nicht mehr hinhören und -schauen wollen.

Welche Rolle sollte die Kunst – im weitesten Sinne – im Kampf gegen die Klimakrise spielen?

Meine Aufgabe als Thriller-Autor ist nicht Aktivismus. Ich will unterhalten. Wenn dadurch Aufmerksamkeit für das Thema erzeugt wird, wäre das ein interessanter Nebeneffekt. So wie Blackout scheinbar tatsächlich die Gesetzgebungen beeinflusst hat. Oder „Silent Spring“ von Rachel Carson, die mit ihrem Buch mehr oder minder im Alleingang die Umweltbewegung in den USA losgetreten hat. Das konnte sie aber nicht ahnen – und leider auch nicht mehr miterleben.

Man könnte andersherum sagen: Als Thema wurde die Klimakrise in der Literatur und der Filmwelt eher verschlafen. 

Das würde ich nicht sagen. Es gibt seit Jahren tonnenweise Literatur dazu: Es gibt ein eigenes Genre, Climate-Fiction, jährliche Kongresse und Messen. Auch Frank Schätzings Buch „Der Schwarm“, das gerade verfilmt wurde, würde ich zu diesem Genre zählen. So gesehen gibt es schon sehr lange Geschichten dazu. 

Sind Sie eigentlich hoffnungsvoll, dass wir die Erderhitzung auf 1,5 Grad Limit oder zumindest zwei Grad begrenzen können?

1,5 Grad werden wir nicht schaffen. Beziehungsweise schon, aber dann ist die Frage: Wollen wir das mit Methoden, wie ich es im Buch beschreibe? Dann hätten wir in fünf Jahren sogar vorindustrielle Temperaturen. Nur ist das Symptombekämpfung. Trotzdem wird dieses Thema kommen: Der Patient ist inzwischen so krank, dass wir zuerst einmal das Fieber runterbringen müssen, sonst krepiert er uns, bevor wir die Ursachen behandeln können.

Das ist der klassische Zwiespalt: Die einen, die sagen, Technologie wird uns retten. Andere sagen: Wir haben bereits die Lösungen, warten wir nicht auf irgendwelche Technologien.

Genau. Wenn man über die Folgen von Geoengineering nachdenkt, sollten wir genauso über Mobilitäts- und Wohnkonzepte sprechen. Sich in Ländern gerade wie Österreich fragen, ob jeder sein eigenes Hüttel einen Kilometer neben seinem Nachbarn stehen haben muss. Wir wissen, dass in Wahrheit die Stadt das klimatechnisch günstigste Wohnmodell ist, weil die Wege kurz sind. Das sind Überlegungen, die über Technologien weit hinausgehen. Aber wo liegt eigentlich die Grenze zwischen Geoengineering und anderen menschlichen Eingriffen? Zum Beispiel die Renaturierung von Mooren: Das passiert nicht von alleine. Da muss der Mensch Technologie anwenden. Wir experimentieren jetzt schon mit großen Algen und Kelp-Wäldern (die CO2 speichern sollen, Anm.), Plantagen im Meer oder in Becken an Küsten. Auch das ist hochtechnologisch, selbst wenn das eingesetzte Material weniger technologisch wirkt wie Aerosole, die man in der Atmosphäre ausbringt.

Sie haben gemeint, Sie sehen Ihre Arbeit nicht als Aktivismus. Aber glauben Sie trotzdem, dass Leute das so verstehen? Als Call to Action?

Kann sein. Aber es ist nicht mein Impetus. Wir wissen alle, dass wir etwas tun müssen. Aber einen Call to Action würde ich es nicht nennen. Ich beschäftige mich schon ewig mit dem Thema Klima, früher nannte man es Umwelt. Schon bei meinen Eltern stand „Die Grenzen des Wachstums“ im Bücherregal und irgendwann hat man da auch mal reingeschaut. Ich versuche eher, eine neue Perspektive reinzubringen. Nicht zuletzt aufgrund globaler Machtverschiebungen. Wir sehen das schon jetzt im Ukrainekrieg, viele Länder aus dem globalen Süden mischen sich da auch nicht ein. Und in diese Richtung wird sich auch die Klimadebatte entwickeln. Allein aufgrund der Bevölkerungsentwicklung werden sich Machtverhältnisse ändern. 

Für Blackout sind Sie ein gefragter Vortragender für Politik und Wirtschaft. Werden Sie jetzt auch zum Klima-Erklärer?

Bei Blackout war das eine große Überraschung für mich, ein interessanter Nebeneffekt. Damals gab es so gut wie niemanden, der sich damit beschäftigt hatte. Beim Klimathema ist das anders, da haben wir einen kompletten Overkill. Ob man da zusätzlich einen alternden Mitteleuropäer braucht? Ich glaube nicht. Außerdem: Die Lösungen liegen ja alle bereits auf dem Tisch. 

Über Ihr nächstes Projekt wollen Sie noch nicht sprechen, aber ein Thema schließen Sie aus: Es geht nicht um eine „Plandemie“?

In meinem nächsten Buch wird es wieder um ein Thema gehen, das uns alle im Alltag beschäftigt – und dem wir viele positive Seiten abgewinnen können. Über die Pandemie braucht man jetzt nicht mehr zu schreiben, nachdem wir sie alle erlebt haben. Und zum Glück erleben mussten, dass sie im Vergleich zu den Romanen und Filmen in der Realität um einiges fader war als erwartet: Auf der Couch warten, bis sie vorbei ist.

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