Gespräch: Josef Redl
FALTER: Nr. 39/2016
Erscheinungsdatum: 28. September 2016
Als Student führte Michael Hartmann 1000 Interviews mit Spitzenjuristen. Schon bald bemerkte er, dass sie fast ausnahmslos aus dem gleichen – bürgerlichen – Milieu stammten. Seitdem untersucht der Soziologe das Wesen von Eliten.
Zwei Gründe: Von den 100 größten Unternehmen ist in Deutschland fast jedes zweite in Familienbesitz. In diesen von Familien kontrollierten Unternehmen spielen Traditionen eine große Rolle. Häufig werden Spitzenpositionen aus der eigenen Familie besetzt. Und dann können wir feststellen, dass sehr stark nach Ähnlichkeit rekrutiert wird. Bei der Besetzung eines Jobs sind in der letzten Runde der qualifizierten Kandidaten immer Dinge wie Sympathie oder das Gefühl, „der erinnert mich an mich selbst, als ich jung war“, ausschlaggebend.
Das Prinzip der Ähnlichkeit schlägt sowohl bei sozialen Aufsteigern als auch beim Geschlecht durch. Man hat immer nur Männer gesehen, die zumeist aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung stammen, und man glaubt zu wissen, welche Männer gute Spitzenmanager sind. Ein guter Spitzenmanager muss zum Beispiel groß sein, auch gibt es einen überdurchschnittlich hohen Anteil an ehemaligen Leistungssportlern in Managementpositionen. Kleine Männer finden Sie in diesen Positionen fast nie. Und Frauen auch nicht. Man weiß daher auch nicht, nach welchen Kriterien man sie beurteilen soll. Mein Lieblingsbeispiel ist das breitbeinige Sitzen. Bei einem Mann signalisiert das Dominanz. Eine Frau kann so nicht dasitzen. Aber wie signalisiert sie dann Dominanz? Das ist schwer zu beurteilen. Und wenn etwas schwer zu bewerten ist, vermeidet man das Risiko.
Ja. Dieses System, bei dem ein Gremium die eigene Nachfolge auswählt, ist extrem undurchlässig.
Michael Hartmann
In der Regel erhöht das Ihre Wahrscheinlichkeit, genommen zu werden. Das System reproduziert sich.
Mein Anreiz für die Untersuchung war die Diskussion über die massiv steigenden Managergehälter, die seit Mitte der 90er-Jahre geführt wird. Das Argument lautete immer: Um die guten Leute zu kriegen, müssen wir mit den Summen mithalten, die in den USA oder in Großbritannien gezahlt werden, weil es einen internationalen Markt für Manager gibt. Die Kluft zwischen Vorstandsgehältern und normalen Angestellteneinkommen in denselben Unternehmen ist in den vergangenen 20 Jahren vom 14-Fachen auf das 54-Fache gewachsen. Meine persönliche Beobachtung war aber, dass es damals nur ganz wenige Einzelfälle gab, wo deutsche Manager in internationale Spitzenpositionen kamen. Deswegen habe ich das systematisch analysiert, nicht nur für Deutschland. Wenn ausländische Manager in den Boards von internationalen Unternehmen tätig sind, dann sind sie nur selten operativ tätig, sondern haben meistens einen Sitz im Aufsichtsrat. Die treffen sich dann ein paarmal im Jahr für ein oder zwei Tage. Um von einer gemeinsamen Elite zu sprechen, müsste es aber einen gemeinsamen Habitus geben.
Grundsätzlich ja. Um von einer internationalen Elite zu sprechen, braucht es ein gewisses Maß an Mobilität über Grenzen hinweg. Das ist nicht gegeben, wenn man feststellt, dass gerade einmal zehn Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder weltweit nicht aus dem eigenen Land stammen. Und selbst diese zehn Prozent konzentrieren sich auf ganz wenige Länder, die eine Nähe zueinander aufweisen.
Ganz eindeutig die Schweiz. Dort kommen fast drei Viertel der Manager in großen Unternehmen aus dem Ausland. In der Schweiz ist die Anzahl von sehr großen international tätigen Unternehmen im Vergleich zur Größe der Bevölkerung weit überproportional. Und die Schweiz hat einen ausgesprochen geringen Grad an Akademisierung, außerdem eine lange Tradition an Internationalität im Finanzsektor.
Von 1000 CEOs waren gerade einmal 20 an der Harvard Business School. 16 davon waren US-Amerikaner. Das heißt, dass nur vier ausländische Harvard-Absolventen einen dieser Topjobs haben. Das ist nicht einmal ein halbes Prozent. Nicht einmal Harvard ist eine Kaderschmiede für eine internationale Managementkarriere - und bei allen anderen Universitäten trifft es noch viel weniger zu.
Ja, bloß bräuchten Sie dafür Harvard nicht.