Interview

Philip Manow

Der Politologe erklärt, warum Kapitalismus in einigen Ländern nach links tendiert und anderswo nach rechts

Gespräch: Nina Horaczek

FALTER:  Nr. 10/2019

Erscheinungsdatum: 6. März 2019

Philip Manow beim 47. Wiener Stadtgespräch  © Christian Fischer
© Christian Fischer
Zur Person

Philip Manow, 1963 geboren, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sein nächstes Buch „(Ent-)Demokratisierung der Demokratie“ wird im Frühjahr 2020 erscheinen.

It’s the economy, stupid!“, lautete der Slogan, mit dem Bill Clinton 1992 in den Wahlkampf um die US-Präsidentschaft zog. Auch der deutsche Politologe Philip Manow nähert sich in seinem Buch „Die Politische Ökonomie des Populismus“ diesem Phänomen nicht aus kultureller, sondern aus ökonomischer Sicht.
FALTER: Was stört Sie an der derzeitigen Populismusdebatte?

Der eine Mangel ist einer des Vergleichs. Die meisten Studien sind jeweils auf einen Fall beschränkt oder man sieht sich nur Rechtspopulismus an oder ganz selten nur Linkspopulismus. Das halte ich für methodisch problematisch, weil man so übersieht, dass ein und dieselben Gesellschaftsgruppen sich in einem Land dem Rechtspopulismus und im anderen dem Linkspopulismus zuwenden. Der zweite Mangel ist, dass das, was ich politische Ökonomie nenne, also das ganze Institutionengefüge, das sich zwischen Kapitalismus und Demokratie aufgebaut hat, viel zu wenig beachtet wird. Populismus wird viel zu sehr als kulturalistisches Phänomen beschrieben, ohne dass man die ökonomischen Grundlagen in die Analyse miteinbezieht.

"Populismus wird viel zu sehr als kulturalistisches Phänomen betrachtet."

Philip Manow

FALTER: Warum wenden sich dieselben Menschen in manchen Ländern linken Populisten zu, in anderen den rechten Populisten?

Wir haben in südlichen Ländern wie Griechenland oder Spanien einen Populismus, der links ausgeprägt ist, im Norden hingegen mit Parteien wie den Wahren Finnen, den Schwedendemokraten oder der deutschen AfD einen klaren Rechtspopulismus. Das hat mit den politischen Ökonomien und deren unterschiedlicher Verletzbarkeit durch die Globalisierung zu tun. Populismus ist ein Protest gegen die Globalisierung. Der Protest gegen die Globalisierung wird dort links, wo er sich gegen die grenzüberschreitende Bewegung von Gütern und Geld richtet, weil das als problematisch wahrgenommen wird. Das hat sich zum Beispiel bei der Eurokrise manifestiert. Und er erscheint in einer rechten Ausprägung, wenn die grenzüberschreitende Bewegung von Personen, sprich Migration, als problematisch gesehen wird. Da ist man dann bei der Migrationskrise des Jahres 2015, die Rechtspopulisten im Norden Europas massiven Aufwind gegeben hat.

Widerspricht nicht das Beispiel Italien Ihrer These? Italien hat extrem unter der globalen Wirtschaftskrise 2008 gelitten, es hat mit der Lega eine extrem erfolgreiche rechtspopulistische Partei.

Italien ist besonders spannend, weil sich in diesem Land das, was den Populismus in Europa unterscheidet, noch einmal im Kleinen widerspiegelt. Die Lega hat sich erst vor kurzer Zeit von einer separatistischen Kleinpartei des Nordens in eine rechtspopulistische Partei gewandelt.

Rechts war die Lega doch schon immer.

Ja, aber eben ganz klar auf die nördlichen Provinzen konzentriert. Neu kam dazu, dass die Lega die Migrationsfrage seit März 2018 ganz klar instrumentalisiert, um so ein rechtspopulistisches Angebot für ganz Italien zu machen. Das Land hat im Grunde zwei politische Ökonomien: eine sehr informelle Wirtschaft im Süden und die Wirtschaft im Norden, die sehr weltmarktorientiert und der deutschen sehr ähnlich ist. Über lange Zeit waren die Rechtspopulisten im Norden sehr stark, während die Fünf-Sterne-Bewegung im Süden zulegen konnte.

In Deutschland wiederum hieß es sehr lange, es seien die Abgehängten, die Globalisierungsverlierer des Ostens, die AfD wählen. Aber dann hat die AfD im wirtschaftlich blühenden Bundesland Bayern mehr als zehn Prozent erhalten.

Im deutschen Fall ist die öffentliche Debatte stark von einem Ost-West-Diskurs geprägt. Dabei läuft die Trennlinie in Wirklichkeit zwischen Nord und Süd. Die AfD ist besonders erfolgreich im Süden des Ostens, nämlich in Sachsen, und im Süden des Westens, in Bayern und Baden-Württemberg. Das sind prosperierende Regionen mit globalisierten Industrien. Das sind keine Globalisierungs- oder Modernisierungsverlierer.

Aber unzufrieden scheinen sie ja trotzdem zu sein.

Es ist die Kombination aus recht umfassendem Sozialstaatswandel und Migration, die beide als bedrohlich erlebt werden. Diese Kombination war bei der Bundestagswahl 2017 der zentrale Beweggrund der AfD-Wähler. Spannend ist dabei, dass es nicht aktuelle Arbeitslosigkeit ist, die durchschlägt, sondern vergangene Arbeitslosigkeitserfahrungen. Viele der AfD-Wähler haben diesen Statusverlust in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon einmal selbst oder in ihrem Umfeld erlebt.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Politische Ökonomie des Populismus“, die Politik soll Anhänger von Populisten nicht wie „Ungewaschene am Tisch“ behandeln. Was wäre Ihr Rezept?

Es gibt nichts, was kurzfristig Abhilfe schaffen könnte. Für den Süden ist klar, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist. Da ist es natürlich schwierig, einen Ausweg zu finden. In den Ländern des Nordens geht es wohl auch darum, den Menschen wieder das Gefühl zu geben, dass der Sozialstaat sie schützt.

Das bedeutet, die Sozialdemokratie hat in Deutschland mit ihren Sozialstaatsreformen der 2000er-Jahre ihren eigenen Feind hochgezogen?

Ja, das belegen auch die Wählerwanderungen eindeutig. Zuerst ging der Protest gegen diese Sozialstaatsreformen bei der Wahl 2009 nach links, zur PDS. Nach 2015 wanderte dieser Protest nach rechts, zur AfD, ab. Das war die Kombination aus Migrationskrise und Wohlfahrtsstaatskrise.

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