Gespräch: Nina Horaczek
FALTER: Nr. 10/2019
Erscheinungsdatum: 6. März 2019
Der eine Mangel ist einer des Vergleichs. Die meisten Studien sind jeweils auf einen Fall beschränkt oder man sieht sich nur Rechtspopulismus an oder ganz selten nur Linkspopulismus. Das halte ich für methodisch problematisch, weil man so übersieht, dass ein und dieselben Gesellschaftsgruppen sich in einem Land dem Rechtspopulismus und im anderen dem Linkspopulismus zuwenden. Der zweite Mangel ist, dass das, was ich politische Ökonomie nenne, also das ganze Institutionengefüge, das sich zwischen Kapitalismus und Demokratie aufgebaut hat, viel zu wenig beachtet wird. Populismus wird viel zu sehr als kulturalistisches Phänomen beschrieben, ohne dass man die ökonomischen Grundlagen in die Analyse miteinbezieht.
Philip Manow
Wir haben in südlichen Ländern wie Griechenland oder Spanien einen Populismus, der links ausgeprägt ist, im Norden hingegen mit Parteien wie den Wahren Finnen, den Schwedendemokraten oder der deutschen AfD einen klaren Rechtspopulismus. Das hat mit den politischen Ökonomien und deren unterschiedlicher Verletzbarkeit durch die Globalisierung zu tun. Populismus ist ein Protest gegen die Globalisierung. Der Protest gegen die Globalisierung wird dort links, wo er sich gegen die grenzüberschreitende Bewegung von Gütern und Geld richtet, weil das als problematisch wahrgenommen wird. Das hat sich zum Beispiel bei der Eurokrise manifestiert. Und er erscheint in einer rechten Ausprägung, wenn die grenzüberschreitende Bewegung von Personen, sprich Migration, als problematisch gesehen wird. Da ist man dann bei der Migrationskrise des Jahres 2015, die Rechtspopulisten im Norden Europas massiven Aufwind gegeben hat.
Italien ist besonders spannend, weil sich in diesem Land das, was den Populismus in Europa unterscheidet, noch einmal im Kleinen widerspiegelt. Die Lega hat sich erst vor kurzer Zeit von einer separatistischen Kleinpartei des Nordens in eine rechtspopulistische Partei gewandelt.
Ja, aber eben ganz klar auf die nördlichen Provinzen konzentriert. Neu kam dazu, dass die Lega die Migrationsfrage seit März 2018 ganz klar instrumentalisiert, um so ein rechtspopulistisches Angebot für ganz Italien zu machen. Das Land hat im Grunde zwei politische Ökonomien: eine sehr informelle Wirtschaft im Süden und die Wirtschaft im Norden, die sehr weltmarktorientiert und der deutschen sehr ähnlich ist. Über lange Zeit waren die Rechtspopulisten im Norden sehr stark, während die Fünf-Sterne-Bewegung im Süden zulegen konnte.
Im deutschen Fall ist die öffentliche Debatte stark von einem Ost-West-Diskurs geprägt. Dabei läuft die Trennlinie in Wirklichkeit zwischen Nord und Süd. Die AfD ist besonders erfolgreich im Süden des Ostens, nämlich in Sachsen, und im Süden des Westens, in Bayern und Baden-Württemberg. Das sind prosperierende Regionen mit globalisierten Industrien. Das sind keine Globalisierungs- oder Modernisierungsverlierer.
Es ist die Kombination aus recht umfassendem Sozialstaatswandel und Migration, die beide als bedrohlich erlebt werden. Diese Kombination war bei der Bundestagswahl 2017 der zentrale Beweggrund der AfD-Wähler. Spannend ist dabei, dass es nicht aktuelle Arbeitslosigkeit ist, die durchschlägt, sondern vergangene Arbeitslosigkeitserfahrungen. Viele der AfD-Wähler haben diesen Statusverlust in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon einmal selbst oder in ihrem Umfeld erlebt.
Es gibt nichts, was kurzfristig Abhilfe schaffen könnte. Für den Süden ist klar, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist. Da ist es natürlich schwierig, einen Ausweg zu finden. In den Ländern des Nordens geht es wohl auch darum, den Menschen wieder das Gefühl zu geben, dass der Sozialstaat sie schützt.
Ja, das belegen auch die Wählerwanderungen eindeutig. Zuerst ging der Protest gegen diese Sozialstaatsreformen bei der Wahl 2009 nach links, zur PDS. Nach 2015 wanderte dieser Protest nach rechts, zur AfD, ab. Das war die Kombination aus Migrationskrise und Wohlfahrtsstaatskrise.